Brennende Hunde
die
klebrige Stille hinein. „Ein Sechsjähriger wäre davon ernstlich beeindruckt.“
Doch niemand antwortete ihm.
Da entdeckte McCullum die Tür. Ohne zu zögern, schritt er
darauf zu. Er hatte nicht vor, sich durch das alberne Szenarium Furcht einjagen
zu lassen, also drückte er die Klinke und öffnete sie. Im selben Moment
schreckte er zusammen. Ein strahlend weißes Licht blendete auf, und in
ohrenbetäubender Lautstärke flutete ihm aus riesigen Lautsprecherboxen, die
sich an der hinteren Wand des kleinen, hinter der Tür liegenden Raumes befanden,
die Ode an die Freude entgegen. Zwischen den Boxen thronte ein Kreuz, an
welchem ein Körper angepflockt war. McCullum erkannte den Toten sofort: Es war
Speedmaster D, auch er ein Künstler, der bei World Records unter Vertrag
gestanden hatte und ab sofort nur noch im Past Tense existierte.
McCullum machte kehrt, um den kleinen Raum zu verlassen,
in dem er es wegen des Lichts und der Musik nicht aushalten konnte. Er
durchquerte die blaue Etage und schritt am Pick-Up vorbei auf den Lastenaufzug
zu, der in der Zwischenzeit jedoch abwärts gefahren war, wie McCullum
beunruhigt registrierte. Er drückte den Knopf, und als der Lift erschien, stand
urplötzlich Corvell vom Los Angeles Police Department vor ihm und schaute ihn
unfreundlich an. Neben ihm erblickte McCullum einen weiteren Mann, den er auf
circa vierzig schätzte. Er hatte die Statur eines Sumo-Ringers, das Gesicht
breit und rund wie der Boden einer italienischen Pizza, und der nach allen
Seiten hin ausufernde Körper war von einem teuren, dunkelgrauen Leinenanzug von
der Größe eines kleinen Zirkuszeltes bedeckt. In der Hand hielt der Mann einen
kunstvoll gearbeiteten Gehstock mit silbernem Knauf.
„Wo haben Sie die Gothic-Lady gelassen?“ fragte der Mann.
„Woher wissen Sie von ihr?“ fragte McCullum zurück.
„Wir haben Sie beschatten lassen“, sagte Corwell. „Als
Sie zu ihr in den Pick-Up stiegen, sind wir Ihnen gefolgt.“
„Sie hätten auf mich warten sollen, Mr. McCullum“, sagte
der andere Mann. „Hat Ihnen keiner gesagt, daß man fremden Frauen nicht einfach
so folgt? – Übrigens: Eine interessante Krawatte, die Sie da tragen.“
„Wer ist das?“ wandte sich McCullum an Corwell. „Ein
Polizeiclown, der meine Laune aufbessern soll?“
„Sagen Sie’s mir“, gab Corwell zurück. „Wir haben ihn vor
dem Sadie’s getroffen. Er behauptet, Sie und er wären verabredet gewesen.“
„Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle, Mr. McCullum?“
meldete sich der andere zu Wort. „Mein Name ist Dess. Sie waren so unhöflich,
mich zu versetzen. Ich nehme an, Sie hatten Ihre Gründe dafür.“
***
Lt. Malvick machte ein Gesicht wie ein Kind, daß zum
Geburtstag die falschen Geschenke bekommt. Immerhin – daß ein Popstar
gekreuzigt wurde, kam nicht alle Tage vor. Fasziniert von der Umgebung und dem
kunstvollen Arrangement dieses Mordes, starrte der Lieutenant auf den leblosen
Körper von Speedmaster D. Nicht daß Malvick Rap-Musik mochte, aber einen
solchen Tod hatte niemand verdient, nicht einmal Whitney Houston, deren Gesang,
wenn er ihn hörte, seine Nerven wirklich strapazierte. In ihrem Fall, so sagte
sich der Lieutenant, wäre ein einfaches Erdrosseln genug. Und wieder einmal
beklagte Malvick, daß der große Johnny Cash nicht mehr lebte, der in seiner
archaischen Weisheit Bescheid gewußt hatte, wie es um die Seelen der Menschen
bestellt war und daß es keine Hoffnung für sie gab.
Corwell kam soeben von draußen zurück, wo er sich
erbrochen hatte.
„Irgendwas Neues?“ fragte er seinen Vorgesetzten.
„Nein. Kaum Spuren. Offenbar wurde nach der Kreuzigung
alles desinfiziert. Auch von dieser Gothic-Lady weit und breit keine Spur.“
„Der Täter scheint ziemlich gewissenhaft und clever zu
sein.“
„Es ist ein Irrtum zu glauben, die Menschen dächten
rational und verhielten sich clever. Sie begehen Verbrechen, weil sie Gefühle
haben: Neid, Eifersucht, Verlustangst, mangelnde Anerkennung, Haß, Hochmut und Gier.
Und wer Gefühle hat, Corwell, der begeht Fehler.“
„Was ist mit Ihnen, Lieutenant? Auch Sie haben Gefühle.
Also machen Sie ebenfalls Fehler.“
„Das einzige Gefühl, das ich habe, ist Langeweile. Und
wer gelangweilt ist, gerät nur selten in Rage.“
„Sie haben also nie einen Fehler gemacht?“
„Doch. Ich hätte mir Johnny Cash live ansehen sollen, als
er noch lebte.“
„Johnny Cash?“ erwiderte Corwell. „Nie von
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