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Brennende Kälte

Brennende Kälte

Titel: Brennende Kälte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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Untertitel Autobiographische Aufzeichnungen, Gedichte, Träume, Analysen trug und sich genauso las. Er beschäftigte sich mit klitoralen und vaginalen Orgasmen, studierte prä- und postmenstruelle Beschwerden. Als ihm die Besitzerin des kleinen Frauenbuchladens, dessen bester Kunde er bald wurde, den Tod des Märchenprinzen von Svende Merian in die Hand drückte, das er in einer Nacht las, glaubte Dengler zum ersten Mal die Frauen zu verstehen. Eine Frau verliebt sich in einen Typ, der eigentlich nichts von ihr will. Kann passieren, dachte er am Anfang, geschah mir umgekehrt schon öfter. Doch die Konsequenz, mit der sie ihn belämmerte, imponierte Dengler. Zu seinerÜberraschung rastete Hildegard aus, als sie ihn mit diesem Buch erwischte. Es sei schlecht geschrieben, sagte sie, gäbe nicht den aktuellen Stand der Diskussion wieder, und überhaupt, wieso lese er heimlich Frauenromane?
    Nach dem Feminismus kam die Mitgliedschaft bei den Grünen. Sie brachte es immerhin zu einer Delegierten auf einem Bundeskongress. Dann wurde sie militante Nichtraucherin. Es folgte eine längere esoterische Phase, in der ihr armes Kind in einen anthroposophischen Kindergarten wechseln musste und gezwungen wurde, absurde eurythmische Tänze aufzuführen. Dann entdeckte sie die Homöopathie. Dann die Astrologie. Immer gab es irgendetwas, das Hildegard in Beschlag nahm. Die Farben wechselten zwar, aber immer gab es eine Fahne, die ganz hoch gehalten wurde.
    Dann wurde auch Georg ausgetauscht. Gegen einen Busverkäufer aus Stuttgart. Und Hildegard entdeckte nun ihre Vorliebe für das bürgerliche Leben. Sie nahm den Sohn und zog nach Stuttgart. Die Scheidung erfolgte ein Jahr später.
    * * *
    Dengler traf sich mit Jakob auf den Stufen neben dem neuen Kunstmuseum am Kleinen Schlossplatz. Wie groß er geworden war! Jedes Mal wunderte er sich darüber. Bald wird er größer sein als ich.
    In Jakobs Ohren steckten zwei Stöpsel des iPods, die zwei weißen Kabel verloren sich irgendwo in seiner Kleidung.
    »Kann ich mal hören?«, fragte Dengler.
    Jakob nickte und reichte ihm die Kopfhörer. Dengler steckte sie etwas umständlich in seine Ohren. Er hörte einen Rap in deutscher Sprache.
    Wenn der Vorhang fällt sieh hinter die Kulissen
    Die Bösen sind oft gut und die Guten sind gerissen
    Geblendet vom Szenario erkennt man nicht
    Die wahren Dramen spielen nicht im Rampenlicht
    Georg Dengler lachte.
    »Guter Text – sollte auch ein Grundsatz der Polizeiarbeit
    sein.«
    Jakob verstand die Bemerkung nicht.
    »Freundeskreis«, sagte er, und jetzt begriff Dengler nicht.
    »So heißt die Band: Freundeskreis.«
    »Ach so«, sagte Dengler.
    Üblicherweise gingen sie an ihren gemeinsamen Nachmittagen ins Kino. Aber heute hatte Jakob andere Pläne.
    »Lass uns durch die Stadt laufen«, sagte er.
    »Einfach so?«
    »Einfach so.«
    Zielstrebig wandte sich der Junge um und ging mit schlaksigen Schritten die Treppe hinauf auf die Platte hinter dem Museum. Ein angesagtes Café war hier, eine Galerie, ein beliebtes italienisches Restaurant, ein Gebäude der in der Innenstadt allgegenwärtigen Landesbank, ein Modegeschäft und ein moderner Imbiss mit frisch gepressten Obstsäften. Neben dem Italiener stand ein Geländewagen, ein Porsche Cayenne, im absoluten Halteverbot. Jakob steuerte direkt auf den Wagen zu, als wäre es sein eigener.
    Vor dem Wagen griff Jakob in die Innentasche seiner weiten Steppjacke, zog ein Blatt heraus und steckte es dem Wagen unter den Scheibenwischer. Dann ging er weiter.
    Dengler war verwirrt.
    »Verdienst du dir was dazu?«, fragte er. »Trägst du Werbezettel aus?«
    »Quatsch«, sagte der Junge und lief zu einem schwarzen Mercedes-Geländewagen, der in einer Parkbucht in der Theodor-Heuss-Straße stand und Dengler so groß wie ein Panzer vorkam.
    Wieder steckte Jakob einen Zettel unter die Windschutzscheibe.
    »Was sind das für Zettel?«, fragte Dengler.
    Mit einer Geste, die wohl beiläufig und cool wirken sollte, griff Jakob in seine Jacke, zog ein Blatt heraus und reichte es ihm.
    Dengler las:

    Stoppt die Klimakatastrophe.
    Zum Beispiel durch die Stilllegung
    dieser Dreckschleuder.

    Er blieb abrupt stehen und sah seinen Sohn an.
    »Du kannst doch nicht einfach ... Ich meine, ist das denn erlaubt?«
    Jakob lachte. Lachte ihn aus.
    »Du bist doch kein Bulle mehr. Was soll denn daran verboten sein? Wenn das Werbung für irgendeinen Mist wäre, würdest du dich auch nicht daran stören, oder?«
    Im Geiste blätterte Dengler

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