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Brennende Kälte

Brennende Kälte

Titel: Brennende Kälte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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ihn.
    »Komm«, sagte sie. »Ich brauche dich jetzt.«
    Dengler setzte das Glas ab.
    Sie küsste ihn, und er ließ es geschehen.
    »Ich muss jetzt gehen«, sagte er heiser.
    Sie küsste ihn ein zweites Mal.

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    Mannheim, Paradeplatz
    Die blaue Uniform spannte um seinen Bauch, und er musste sich mit der rechten Hand am Einstiegsgriff der Straßenbahn festhalten, als er am Neuen Messplatz in der Neckarstadt in die Linie 3 stieg. Seit seiner Hüftoperation war Jürgen Meister nicht mehr so beweglich. Er fand einen leeren Platz am Fenster, auf den er sich schnaufend fallen ließ. Außerdem hatte er zum Leidwesen seiner Frau in den letzten Jahren zugenommen.
    Fahr nur, hatte seine Frau gesagt, die Bewegung wird dir guttun. Am Paradeplatz stieg er bei C&A aus. Die frische Luft führte sofort zu einem quälenden kleinen Hunger. Er ging hinüber zum Kaufhof und kaufte sich an dem Imbissstand eine Bratwurst.
    Eigentlich hatte er es eilig. Aber abwägend zwischen Hunger und Pünktlichkeit entschied er sich lieber dafür, etwas zu essen.
    Heute war Dienstag, und heute Abend traf sich sein Skatclub in der Cafeteria des Bürgerhauses Neckarstadt in der Lutherstraße. Darauf freute er sich jede Woche.
    Aber erst die Pflicht. Seit sechsundzwanzig Jahren war er in der Freiwilligen Feuerwehr aktiv. Letztes Jahr hatte es eine schöne Feier gegeben, eine Urkunde hatte er bekommen, die vom Oberbürgermeister unterschrieben war. Original unterschrieben, kein Computerausdruck oder Stempel, denn er hatte seinen Zeigefinger angefeuchtet und damit vorsichtig über den ersten Buchstaben, das W, gewischt. Es verschmierte. Tinte! Also war die Unterschrift echt. Dies gab ihm ein befriedigendes Gefühl.
    Für die Freiwillige Feuerwehr erledigte er gelegentlich gewisse Aufgaben. Das machte er gern. Er wusste natürlich, wie der Hase lief. Die Berufsfeuerwehr hatte etwas zuerledigen, was sie selbst nicht machen wollte. Sie beauftragte die Freiwilligen. Er hatte sich freiwillig gemeldet, die alten Bunker unter dem Paradeplatz zu säubern. Normalerweise machte er so etwas immer mit dem Kollegen Erwin zusammen. Doch der ging heute mit seinen beiden Enkeln einkaufen. Und so würde er die Arbeit allein machen. Dafür, das hatte Erwin versprochen, würde er das nächste Mal allein den Reinigungsdienst übernehmen.
    Es machte ihm nichts aus. Zu den wichtigen Übungen der Freiwilligen Feuerwehr Nord, zu der er als Neckarstädter gehörte, wurde er schon seit über zehn Jahren nicht mehr einberufen. Du bist ja jetzt im Ruhestand, hieß es. Er wusste, dass er zu dick war für einen ernsten Einsatz. Und seit der Hüftoperation hatte er erst recht keine Chance mehr. Aber hin und wieder kleine Arbeiten, das machte er gerne.
    Da komme ich dann wieder mal in die Quadrate, dachte er sich.
    Mannheim ist die einzige Stadt Deutschlands, deren Innenstadt zum großen Teil nicht nach Straßennamen, sondern nach Kennzahlen organisiert ist. Vom Schloss bis zur Kurpfalzbrücke zieht sich die Kurpfalzstraße mitten durch die Mannheimer Innenstadt. Die Straßen rechts und links dieses Boulevards tragen keine Straßennamen. Stattdessen sind die Häuserblöcke nummeriert. Links beginnt es mit A1, dann A2, A3 und so weiter. Ein Stück weiter dann B1, B2 bis B7, nach der nächsten Querstraße C1 bis C8. Die letzte Straße, die nach links abbiegt, birgt die K-Blöcke. Die L-Quadrate bilden den Anfang der Querstraßen, die rechts von der Kurpfalzstraße abgehen: L1 bis L15. Obwohl es der alte Kurfürst gewesen war, der diesen Teil Mannheims erbauen ließ und dieses System erfunden hatte, gab es noch heute der Mannheimer Innenstadt etwas Besonderes, Modernes, ja Amerikanisches.
    * * *
    Vor dem Paradeplatz befand sich im Quadrat N1 bis zur Zerstörung im 2. Weltkrieg das Rathaus. Inzwischen steht dort das mulitfunktionale Stadthaus, ein moderner Bau. Jürgen Meister fuhr hinauf in den dritten Stock. Dort kannte man ihn schon, und zwei Frauen händigten ihm die Utensilien aus, die er benötigte: einen großen Besen, Schaufel und einen gelben Plastikeimer. Meister erzählte ihnen einen nicht ganz stubenreinen Witz, verhedderte sich aber in der Pointe, die er zu früh verriet, und nun waren es die beiden Frauen, die ihn gutmütig verspotteten. Bis zum nächsten Mal solle er üben, sagten sie. Sie seien hier keine Anfänger gewöhnt.
    Dann fuhr er hinunter in das unterste Parkdeck. Ganz hinten links sah er die rote Stahltür, auf die er zielstrebig zuging. Er machte diese Arbeit

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