Brennende Kontinente
Robe zerrte und ihn davon zuwehen drohte. Er schaute sich um und suchte auf den Dächern der umliegenden Häuser nach Fußspuren. Er fand keine Abdrücke, weder von einem Kind noch von einer Frau. Ein leises Schwirren erregte seine Aufmerksamkeit. Schräg über ihm, etliche Schritt weiter, flogen sieben Modrak über der Stadt. Zwei von ihnen hielten eine kleine Gestalt an den Handgelenken gepackt, vier trugen eine Frau an Händen und Füßen. Der letzte umkreiste die Gruppe und spähte umher. Er wollte sichergehen, dass sie von nichts und niemandem verfolgt wurden.
»Verdammte Viecher.« Lodrik reckte sich und überlegte, ob seine Macht wohl so weit reichte. Ehe er sich entschlossen hatte, es auf einen Versuch ankommen zu lassen, sanken die Modrak abrupt nach unten und verschwanden hinter dem Wald, der sich um Amskwa erstreckte. Sie waren aufmerksam geworden.
Lodrik senkte den Blick, schaute auf die borasgotanischen Soldaten und widerstand der Versuchung, sie zu töten und ihre Seelen zur Suche auszusenden. Norinas und Stoikos Worte hafteten zu sehr in seinem Gedächtnis, und er bedauerte seine Skrupel. Dabei sagte er sich, dass Vahidin sich früher oder später gewiss wieder zeigen würde. Jetzt wusste er wenigstens, nach wem er Ausschau zu halten hatte und wer sich hinter dem Titel kleiner Silbergott verbarg. Er berührte das Loch in seiner Brust, in das er den Fingerstecken konnte. Es war kleiner geworden, dieses Mal verwuchs das untote Fleisch miteinander, legte sich schützend über die inneren Organe, und mit ein wenig Glück musste er es nicht nähen. Sein Leib entschied selbst, wann er heilte und
wann nicht.
Lodrik rutschte den Schlot hinab, verließ den Palast unbehelligt und kehrte in den Gasthof zurück. Er fand seine beiden Freunde am Bett von Norina ins Gespräch vertieft. Als er eintrat, schwiegen sie sofort; ihre Mienen machten deutlich, dass sie sich über ihn unterhalten hatten.
»Vahidin lebt«, sagte er knapp. »Die Modrak haben ihm zur Flucht verholfen und Aljaschas Leichnam mitgenommen.« Er setzte sich neben den Kamin, abseits von seinen Freunden, schlug die Kapuze zurück und betrachtete sie ernst.
»Was tun wir nun, Herr?«, fragte Waljakov und klang kämpferisch wie eh und je.
»Ich gehe nach Westen, nach Croshmin, um Zvatochna zu stellen. Sie ist das gefährlichere Übel, weil ich nicht einzuschätzen vermag, was sie beabsichtigt.« Er deutete mit dem Finger zuerst auf Waljakov, dann auf Stoiko. »Ihr werdet Norina zurück nach Ulsar begleiten. Ich traue Vahidin zu, dass er die Modrak auf sie hetzt.« Es war eine Lüge, um die beiden Freunde in Sicherheit zu bringen. Dass Norina lebte, dass sie ihren Verstand besaß, war ein Geschenk Ulldraels. Weitere Geschenke würde er vermutlich nicht machen können..
»Ihr benötigt Beistand, Herr«, warf Waljakov ein und kam damit Norina zuvor, die den Mund für einen Einwand geöffnet hatte. »Beim Kampf im Palast habt Ihr gesehen, dass wir Euch sehr wohl nützen. Bedarf es eines weiteren Beweises?«
»Ihr seid gute Kämpfer. Ihr beide«, beschwichtigte er. »Bedenkt wen ihr auf eurem Weg bei euch habt. Hier liegt die Kabcara Tarpols, und sie muss sicher auf den Thron zurückkehren. Das steht an oberster Stelle. Und die Verantwortung; die ihr beiden für die Tarpoler tragt, ist hoch.« Er stand auf.
»Ich lasse euch wissen, wo ich bin, wie es sich mit Zvatochna verhält und ob ich euch brauche. Setzt Perdor in Kenntnis.«
Er reichte Stoiko zum Abschied die Hand.
Sein Vertrauter lächelte ihn an. »Das war weise, wie Ihr den alten Krieger ausmanövriert habt«, flüsterte er und zwinkerte. »Wir passen auf sie auf, Herr«, sagte er dann laut. Waljakov war als Nächster an der Reihe und beschränkte sich neben dem Handschlag auf ein Nicken. Er war zwar immer noch nicht einverstanden, bei der Jagd außen vor zu sein, doch wie konnte er es ablehnen, eine Kabcara zu beschützen?
Lodrik küsste seine Gemahlin behutsam auf den Mund. »Wir sehen uns wieder.« Rasch ging er hinaus, um weiteren Diskussionen mit ihr zu entkommen.
Kontinent Ulldart, Königreich Tarpol, Provinz Ker, Winter im Jahr 1/2 Ulldrael des Gerechten (460/461 n.S.)
Estra folgte Tokaro durch den Tunnel. Alle zwei Schritte machten sie Halt, um die an den Wänden aufgehängten Lampen zu entzünden. Nach und nach kehrte die Helligkeit in den Gang zurück, in dem offensichtlich seit längerer Zeit keiner mehr gewesen war. Staub und Spinnweben waren klare Anzeichen dafür.
Estra
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