Brennende Kontinente
die Spannung, die sie befallen hatte. »Ist es wegen der Unterkunft?«, erkundigte er sich.
»Erträgst du es nicht, unter der Erde zu sein?«
Sie entfachte ein kleines Feuer und verfolgte, wie der Qualm in ein Rohr zog, das in der Decke verschwand. »Wohin
wird er abgeleitet?« »Wieso?«
»Weil uns der Rauch verraten kann.«
»Das Rohr führt einige Schritte weiter und kommt neben einem Bachlauf an die Oberfläche, der selbst im Winter nicht zufriert. Der Rauch mischt sich sofort mit dem Wasser, bevor der Geruch aufsteigen kann.« Tokaro schob den Topf über die Flammen. »Wir haben an alles gedacht. Und nun sag, was Dich bedrückt.«
»Alles«, stieß sie mit einem Seufzen hervor. »Die Ungewissheit, was sich in diesem Augenblick in Ammtara ereignet, was die Priester anordnen, wie die Königreiche handeln werden.« Sie hob hilflos die Schultern. »Alles eben.«
Tokaro barg sie in seinen Armen, küsste ihre Stirn und hielt sie fest. Es bedurfte keiner Worte, er spendete stummen Trost und hoffte, dass es etwas brachte.
Als der Duft des Essens beiden in die Nase stieg, ließen sie sich los. Tokaro rührte rasch um, ehe Knollen und Fleisch verbrannten, Estra ging in den großen Saal und suchte Besteck. Sie würden aus dem Topf essen.
»Es schmeckt besser«, sagte sie nach dem ersten Bissen, »als ich befürchtete.«
»Es war in Kräuteröl eingelegt, was erwartest du? Selbst eine Schuhsohle würde weich und bekäme ein unglaubliches Aroma«, lachte Tokaro.
Er schenkte ihr Wein ein und vermied es, das Gespräch auf das Amulett und die Vorgänge am Strand zu lenken. Estra sollte sich entspannen. Also plauderte er aus der Zeit, als er Knappe und zur Ausbildung bei Nerestro war, schilderte das unentwegte Messen gegen seinen späteren Feind Albugast auf heitere Weise, bis er sah, dass ihre Mundwinkel in die Höhe wanderten und sie ihm ein Lachen schenkte.
Irgendwann, die Flasche war schon lange leer und eine zweite geöffnet, legte Estra ihre Hand auf seine. »Ich danke dir«, sagte sie.
»Für was?«, meinte er verwundert, weil sie ihn mitten im Satz unterbrochen hatte.
»Durch dich lerne ich mehr über meinen Vater, und das bedeutet mir sehr viel. Er steckt zu einem Teil in dir, du bist
ein Vermächtnis, das er mir hinterlassen hat und über das ich
sehr glücklich bin.« Sie beugte sich nach vorn und küsste ihn
lange auf den Mund.
Tokaro genoss seinen Lohn für die Stunden der Abwechslung, die er ihr beschert hatte. »Auch ich bin ihm dankbar, dass er mich aufgenommen hat. Nicht nur wegen der Ausbildung, der Burg und des Reichtums.« Er erhob sich, sie stand ebenfalls auf und stellte sich dicht vor ihn. »Als Straßenräuber, der ich war, wäre mein Leben sicher schon lange verwirkt, und mein Leichnam würde an einem Seil verrotten.« Er strich durch ihre Haare, die Finger folgten der Schläfe nach unten über die Wange.
»Wäre ich kein Ritter geworden, hätten wir beide uns niemals getroffen, Estra. Du hast meinem Leben die vollständige Erfüllung gegeben.«
Sie erkannte die unausgesprochenen Gefühle, die er für sie hegte und die nicht über seine Lippen kommen wollten. Dafür war er zu sehr Ritter, um die Schwäche einzugestehen: seine Liebe zu ihr. Estra küsste ihn erneut, dieses Mal mit aller Leidenschaft; dann führte sie ihn ins Schlafgemach.
Kontinent Ulldart, Königreich Tarpol, Provinz Ker, Winter im Jahr 1/2 Ulldrael des Gerechten (460/461 n.S.)
erhoben sich die Türme, Fahnen wehten auf den Spitzen und verkündeten zum einen, aus welcher Richtung der Wind wehte, und zum anderen, wem dieses wundervolle Bauwerk gehörte. Das Wappen der Kuraschkas prangte groß und
deutlich sichtbar allerorten, ein weißer Wimpel verkündete,
dass der Burgherr selbst nicht auf dem Anwesen weilte.
Das wusste der junge Mann, der sich den Pfad zum Tor hinauf schleppte, jedoch nicht. Er sah müde und erschöpft aus, und seine Kleidung und seine Lederrüstung wirkten ramponiert. Ein alter, zerschlissener Mantel schützte ihn jedenfalls teilweise vor der Kälte und dem Schnee. Die vier Torwächter beobachteten ihn sehr aufmerksam, auch wenn er keine Gefahr bedeutete. Hustend stand er schließlich vor ihnen, er musste sich zusammenreißen, um einigermaßen verständlich zu sprechen: »Ich suche Tokaro von Kuraschka«, sagte er mit einem seltsamen Akzent. Der Hauptwächter trat einen Schritt vor. »Almosen kannst du bekommen, aber der Herr ist nicht da.«
»Mein Name ist Lorin. Ich bin sein Halbbruder.
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