Brennende Schuld
Brandstiftung versorgt hatte, könnte sich das möglicherweise nachweisen lassen.
Er war nicht hungrig, obwohl er noch nichts gegessen hatte. Vielleicht weil der Schmerz in seiner Schulter ihm den Appetit nahm, zumal er ihm beim Gehen wieder bewusst wurde. Die marcha, das abendliche Treiben, hatte bereits begonnen. Die Tische der Straßencafés waren alle besetzt. Die Deutschen saßen da und beobachteten den Strom der Flanierenden, die Spanier waren mit sich beschäftigt und hielten erregte Diskussionen ab. Mehr noch die Italiener. Ernster, aber auch eloquent die Franzosen. Er gedachte, sich mit diesem Ratespiel abzulenken, denn er wollte die Ereignisse der beiden letzten Wochen, die ihn zweimal fast das Leben gekostet hatten, für eine Stunde vergessen.
Die Menschen freuten sich auf eine lange Nacht in den Gässchen am Hafen und in den Clubs, und als er an den Terrassen der Cafés und Restaurants an der Plaça del Parque vorbeikam, stand eine Frau auf und kam auf ihn zu. Sie war sehr attraktiv, erinnerte ihn an die amerikanische Schauspielerin Michele Pfeiffer, er konnte sich aber nicht vorstellen, sie zu kennen oder schon mal irgendwo getroffen zu haben. Also war es ein Versehen, sie würde an ihm vorbeigehen und einen anderen begrüßen. Aber sie kam direkt auf ihn zu, sah ihm in die Augen und blieb vor ihm stehen. Lächelnd sagte sie: »Sind Sie Jazzpianist?«
Sie verwechselte ihn. Er nahm ihr Lächeln auf und betrachtete sie. Er ließ sich Zeit, obwohl es vielleicht unhöflich war. Er hatte sich gewünscht, auf andere Gedanken zu kommen, und dies war eine Gelegenheit: sich ansehen, lächeln und nichts sagen. Er spürte, wie die Spannung stieg, aber sie nahm die Situation offenbar unaufgeregt hin. Sie ließ Costa Zeit, die schöne Harmonie ihres Gesichtes zu genießen. Von irgendwoher klangen Musikfetzen herüber, es war Jazz, mit einem deutlich hervortretenden Musiksolo. Die Ironie der Situation amüsierte ihn ebenso wie die Unbekümmertheit und Schönheit dieser Frau. Es erinnerte ihn an eine Begegnung auf dem Hamburger Unigelände. Damals war er sich nicht sicher gewesen, ob er studieren oder zur Polizei sollte, und er war zur Studentenberatung gegangen, um sich zu erkundigen. Vor der Mensa war ein Mädchen wie aus dem Nichts aufgetaucht, sie hatten plötzlich voreinander gestanden und beide fröhlich gelächelt. Vollkommen ohne ersichtlichen Grund begann sie, ihr langes braunes Haar zu kämmen, während sie ihn anstrahlte. Ebenso grundlos hatte er eine Zeile aus einem Gedicht von Jaques Prévert gesagt (später war sie ihm nie mehr eingefallen). Sie sagte daraufhin etwas, was er nicht verstand und was sie ›die Sprache der Zikaden‹ nannte. Sie verbrachten eine Stunde oder mehr auf derselben Stelle, und schließlich machte sie einen tiefen Knicks wie eine Kammerzofe am Hofe Ludwig XIV. und lief winkend davon. Später hatte er oft an diese Szene gedacht – die Leichtigkeit des Seins – und sich überlegt, ob er nicht doch lieber hätte studieren sollen, statt ein Polizist zu werden, der sich ständig mit der düstersten Seite menschlichen Lebens und Zusammenlebens auseinander setzen musste.
»Sie waren damals auch sehr schweigsam«, sagte sie und meinte den Jazzpianisten, den sie irgendwo einmal getroffen haben musste. Vielleicht aber war alles ein Scherz, denn ihre Augen blitzten vor Fröhlichkeit.
»Leider verwechseln Sie mich«, erwiderte Costa mit einem bedauernden Lächeln.
»Sie spielen sicher wieder im Teatro. Ich werde heute Abend da sein.« Spitzbübisch tippte sie ihm mit dem Finger auf die Brust, drehte sich um und verschwand.
Costas Laune hatte sich gewandelt. Er fand den Sommer nicht mehr heiß, sondern wohlig warm, er sah den blassen Mond über den Palmen des Platzes und überall heitere und lachende Menschen. Er fühlte sich in ihrer Mitte behütet, ja vielleicht sogar geliebt und hätte Lust gehabt, am Strand zu joggen oder im Meer zu schwimmen, entschied sich aber, in einem Restaurant am Hafen Fisch zu essen. Er trank eine halbe Flasche Weißwein zu der Dorade. Anschließend spazierte er an den Booten und den Liebespaaren vorbei, die auf den Steinbänken saßen. Am Mar y Sol bog er nach links ab und schlenderte auf die erleuchtete Stadtmauer zu.
Aus dem Teatro Pereira drang kubanische Musik.
Er ging hinüber und blickte durchs Fenster. Der alte Sänger auf der Bühne war klein und zierlich. Tiefschwarze, stark gekrauste Haare, die hinter einer hohen Stirn begannen, verliehen ihm
Weitere Kostenlose Bücher