Brennende Schuld
Begriff Fremdenzimmer hätte sie ihn getadelt: Sie und ihr Lebensgefährte Elmar vermieteten fast ausschließlich an Freunde oder Bekannte. Zur heutigen Taufe würde sie nicht kommen, weil sie Antoni Campaña nicht mochte. »Und wenn ich deinen Vater treffen will«, hatte sie gesagt, »dann weiß ich, wo ich ihn finden kann. Er sitzt ja jeden Nachmittag im Schatten seines Hauses an einem kleinen Holztisch vor der Schreinerei und philosophiert über das Leben.« Costa nahm sich vor, sie so bald wie möglich zu besuchen.
Auf dem Parkplatz stand Karins Sportwagen. Vor der Kirche hatte sich die gesamte Familie eingefunden. Wie an jedem dieser Sommertage war es stechend heiß. Die älteren Frauen bewegten anmutig und mädchenhaft ihre Fächer, die jüngeren saßen in ihren Autos, ließen Motor, Klimaanlage und Musik laufen. Die Männer hatten trotz der Hitze ihre Jacketts an und rauchten auf Vorrat. Campaña, der neben dem Priester Don Alonso stand, winkte ihnen hektisch zu. Man hatte bereits auf sie gewartet. Die Kirchentür wurde geöffnet und gewährte den von der Hitze Gepeinigten Einlass ins kühle Innere. Als Erste schritt Josefa durch das Portal, knickste am Weihwasserbecken, benetzte ihre Hände und schlug ein Kreuz, die Hände flink wie die Nadelstiche einer Nähmaschine: von der Stirn über beide Augenbrauen zum Mund, dann zum Kinn, über die Brüste zum Bauch und zurück zum Mund, wo sie den unsichtbaren Rosenkranz küsste, den Zeigefinger und Daumen umschlossen hielten.
Ihr folgten ihre Schwester Catalina und die Großeltern von Montserrat, Lucas Planells Mari und Soledad Pianeils Valderama, die mit ihren siebzig Jahren immer noch ehrenvoll auf einem Vogue -Titelblatt hätte erscheinen können. Sie trug ein kurzes, extrem tailliertes orangefarbenes Kostüm, einen Wagenradhut in gleicher Farbe und hochhackige Sandaletten. Dann betraten Lola und Antoni Campaña die Kirche, zuletzt kamen die Tochter Montserrat mit dem Baby und ihrem Mann. Die Geschwister Montses, Ivan und Carmelita, setzten sich in die erste Reihe, ebenso wie Mateo Verdera, der Bruder Lolas, den ihre Eltern Lucas und Soledad adoptiert hatten. Ihnen folgten die Paten Costa und Laureana Sanchez. Die anderen Reihen füllten Karin, El Cubano zwischen seiner Mutter und seiner Tante, Rafals Frau Inés, ihre Kinder Pedro und Andreu, Costas Vater Toni und die vielen anderen Mitglieder der Familie.
Don Alfonso, so wusste Costa, war ein Seelenverwandter des Gerichtsmediziners Torres, was dessen Vorliebe für gute Rotweine anbetraf. Es ging das Gerücht um, dass er in seinen Sprengeln Santa Inés und San Mateo den minderwertigen Messwein schon vor langer Zeit gegen eine trinkbare Version hatte austauschen lassen, für die er aus eigener Tasche aufkam. Sein Alter und diese Liebschaft ließen ihn manchmal während der Litanei einschlafen. Diesmal jedoch war er sich der Bedeutung des Tages bewusst und sprach die Predigt mit klarer Stimme.
Nachdem er geendet hatte, wurden die Eltern und Paten zum Altar gebeten.
»Wie fühlst du dich, Montse?«, raunte Costa der achtzehnjährigen Tochter Campañas zu, die mit ihm zusammen vor den Pfarrer getreten war. Auf der anderen Seite standen ihr Ehemann Ramón, zwanzig Jahre älter als sie, und daneben Laureana Sanchez.
Montserrat lächelte ihn an, erwiderte aber nichts. Sie war eine wirkliche Schönheit. Von ihrer Großmutter Soledad hatte sie das Profil und die hellblonden Haare, die über ihren tief dekolletierten Rückenausschnitt fielen. Ihre Augenfarbe war ein blasses Aquamarin, und als sie Costa anlächelte, spürte er eine wohltuende Wärme. Seine Großmutter hatte ihm Montserrat als gebildet, reich und verwöhnt beschrieben. Campaña, ihr ehrgeiziger Vater, hätte dieses Juwel nie verschenkt, war ihre Meinung. Er hat Ramón für sie ausgesucht, und ich glaube nicht, dass sie bei der Wahl ein Mitspracherecht hatte, waren Josefas Worte gewesen, woraufhin er wissen wollte, warum der achtunddreißigjährige Ramón Francisco Suñer so attraktiv für den Vater war. Er hatte noch ihre harte trockene Stimme im Ohr: Ramón ist der Urenkel von Ramón Serrano Suñer. Der Alte war auch Anwalt, in Madrid, ich kannte ihn noch persönlich. Er war zielstrebig und aus hartem Holz. Seine Kanzlei hat er zu Macht und Ansehen gebracht, nachdem er Zita geheiratet hatte, die Schwester von Francos Frau Carmen Polo. Das war im Sommer 1931. Carmen Polo war vorher hier auf der Insel gewesen. Dann kam der Bürgerkrieg, und nach Francos
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