Brennende Schuld
auszusprechen.
»Toni Costa!« Der große orangefarbene Hut Soledad Valderamas teilte die Menge. »Unterhalte dich nicht zu lange mit diesem Menschen. Er ist von Grund auf schlecht, und ich darf das sagen, denn ich habe seinem Sohn meine Tochter anvertraut. Antoni, cariño « , flötete sie in Campañas Richtung, »sollten die Appetithäppchen oder amuses bouches, wie ich sie nennen würde, jetzt nicht gereicht werden? Die Mehrzahl der Gäste sieht hungrig aus.« Ihr Schwiegersohn lachte, küsste sie links und rechts auf die Wangen und verschwand. Soledad brachte einen grandiosen Fächer mit der Skyline ihrer Geburtsstadt Caracas zum Vorschein und beugte sich verschwörerisch zu Costa. »Aber geschäftstüchtig ist er schon, kein Zweifel. Genau wie dein Onkel, das alte Schlitzohr.« Sie wandte sich mit einem strahlenden Lächeln an El Cubano, den sie im Rückspiegel ihrer Intuition gesehen haben musste. »Joan, ich finde, du solltest dich mehr um deinen Neffen kümmern. Warum ist er noch nicht Polizeipräsident? Gibt es nicht irgendeine Tätigkeit, die ihm gestattet, den Sommer über Boot zu fahren, wie es jeder vernünftige Mensch tut?«
Cubano lachte aus vollem Hals. Er schlug Costa mit der einen Hand auf die Schulter – worauf dieser zusammenzuckte, obwohl es die rechte war – und reichte mit der anderen Soledad ein Glas ihres bevorzugten Sektes ›Reserva de la familia‹. »Mein Neffe zieht es vor, sich tyrannisieren zu lassen und Hundeknochen auszugraben. Eine ganz neue Art von Guardia Civil. Wahrscheinlich hat er das in Deutschland gelernt. Ihm fehlt einfach der Blick für das Wesentliche. In seiner Dienststelle nennen sie ihn ›El Alemán‹, und ich glaube nicht, dass das schmeichelhaft gemeint ist.«
Zwei Hände glitten über Costas Rücken. Er drehte sich in der Erwartung um, Karin zu sehen.
Montse küsste ihn auf den Mund. »Vielen Dank für das Geschenk. Klassisch, finde ich.«
»Nicht wahr?«, antwortete Costa und strahlte.
Zum ersten Mal, seit er die Ermittlungen zu diesem Fall aufgenommen hatte, entspannte er sich ein wenig. Eigentlich gab es dazu keinen Anlass, denn von einer Aufklärung war er noch weit entfernt. Trotzdem rückte all dies für einen Moment in den Hintergrund. Herzlich war das Wort, das ihm in den Sinn kam. In seinem Beruf hatte er nur mit Lügen, Vertuschung und Falschheit zu tun. Die Zuneigung seiner Familie hingegen – Campaña vielleicht ausgenommen – kam von Herzen. Sogar sein Onkel Cubano, dessen Geschäfte sich meistens am Rand der Legalität bewegten, war ihm gegenüber immer herzlich.
Zufrieden nahm er sich ein paar der kleinen Köstlichkeiten von den herumgereichten Tabletts und schlenderte mit einem Glas Sekt in der Hand von Grüppchen zu Grüppchen. Er wurde überall begrüßt und umarmt, jeder beteuerte, wie schade es sei, dass man sich nicht öfter sehe.
»Aber zur Matanza kommt er jedes Jahr«, dröhnte Cubanos Stimme über den Kirchplatz, »auch wenn er ein so viel beschäftigter teniente ist. Toni ist ein guter Junge. Er weiß, was sich gehört und dass die Familie das Wichtigste im Leben ist.«
Costas Vater saß auf den Stufen der Tienda Can Cosmi und klopfte mit der flachen Hand auf den Stein neben sich, damit Costa sich setzte. »Erzähl, wie geht es deinen Kindern? Kommen sie dich im Herbst besuchen?«
Eigentlich hätten Annalena und Alexander die Sommerferien auf Ibiza verbringen sollen, aber dann hatte sich herausgestellt, dass die Tochter noch einiges nachzuholen hatte, bevor das neue Schuljahr begann. Und Alexander, der seit zwei Jahren aufs Gymnasium ging, steckte offensichtlich mitten in der Pubertät und wollte unbedingt in Hamburg bleiben. Es gebe da ein Mädchen, hatte seine Exfrau Sabine angedeutet. Wenn Costa mit seinem Sohn telefonierte, waren dessen Antworten in letzter Zeit meist knapp und vermieden jede Art von Emotion – gewöhnlich wurde der Hörer schnell an seine Tochter weitergereicht. Immerhin würde Annalena wenigstens in den Herbstferien kommen, das hoffte er jedenfalls.
»Alexander hat wohl eine Freundin«, sagte Costa.
»Er wird jetzt dreizehn, oder?«, fragte sein Vater. »Da geht es los. Als mein Vater und Josefa sich kennen lernten, waren sie zwölf. Das war«, er rechnete kurz, »1926. Und du weißt, was daraus geworden ist. Sechs Jahre später haben sie geheiratet und waren nicht einen Tag getrennt, bis Vater starb.«
Costa nickte ergeben. Jeder in der Verwandtschaft kannte die Geschichte von der Piratin und dem
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