Brennende Schuld
Meter tief hinter Es Palmador bei den Fischen, Sturm hin oder her. Trotzdem ist an der Idee was dran. Vielleicht ist ja eines der Schiffe näher als erlaubt an der Küste gewesen.«
Während die anderen wieder nach San Antonio zurückfuhren, blieb er in Ibiza. Er hatte Karin eingeladen, mit ihm ein paar Tapas am Hafen zu essen. Weder auf den gestrigen Tag noch auf den verpatzten Abend hatte er angespielt. Jeder unnötige Satz hätte zu Es war nicht meine Schuld, dass … überleiten können, was er unbedingt vermeiden wollte. Jetzt saßen sie sich gegenüber, er dem Hafenausgang und dem Meer zugewandt, sie mit Blick auf Altstadt und Burg. Er hatte ihr die Wahl der Plätze überlassen, aber sie war mit irgendetwas innerlich so beschäftigt, dass sie einfach den Stuhl heranzog und sich setzte. Er schätzte den weiten Blick aufs Meer und freute sich, wenn Möwen in der Nähe waren, die er beobachten konnte.
Nachdem sie bestellt hatten, lobte er anerkennend ihren scharfen Blick, mit dem sie gestern die Leiche entdeckt hatte.
»Habt ihr schon mehr herausgefunden?« Sie trug das dünne, roséfarbene T-Shirt, das er ihr geschenkt hatte, und hatte eine Spange mit Marienkäfern ins Haar geklemmt. Er betrachtete lächelnd ihre vollen Lippen, dunkelbraunen Augenbrauen und langen Wimpern. Sie vermittelte sehr stark den Eindruck von Unabhängigkeit und Sinnlichkeit. Man konnte annehmen, dass sie allein lebte und One-Night-Stands liebte, was hoffentlich nicht stimmte.
Er sagte, ihr Problem sei, die Identität des Toten herauszufinden. Die Befragung der Zahnärzte erwähnte er nicht.
»Hast du gestern noch etwas getrunken?«, fragte sie.
»Ja. Eine Flasche Mahou.«
Sie lachte. »Bravo.«
Er gab ihr Recht. Die Weisheit kam immer hinterher.
»Habt ihr schon eine Computeranimation von dem Toten?«
»Nein.«
»Das wäre doch der einfachste Weg, die Hotels und Restaurants abzuklappern.«
»Nein. Alles, was an Personal da ist, bewacht den Straßenbau.«
Sie hielt es für den Gipfel der Kurzsichtigkeit, auf dieser idyllischen Insel Straßen zu bauen. Sie schaute nach dem Kellner.
»Warum hast du die Leiche eigentlich unbedingt fotografieren wollen?«, fragte er. »War doch abstoßend.«
In der kühlen Art, die einen schroffen Gegensatz zu ihrer Sinnlichkeit bildete, sagte sie: »Solche Motive sind am schwersten zu fotografieren. Der Leser soll in die Geschichte hineingezogen werden, ohne ihn zu schocken. Das wollte ich halt mal ausprobieren.«
Er konnte sich beim besten Willen nicht in die Arbeit von Journalisten hineinversetzen, die die widerlichsten Grausamkeiten zusammentrugen, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu erheischen. Das Fernsehen war voll von solchen Bildern. Er erinnerte sich an das Foto eines knienden Vietnamesen, der von einem Offizier erschossen wurde, das um die ganze Welt ging.
Er fragte, ob sie mit ihren Resultaten zufrieden sei.
Sie hatte den Strohhalm zwischen den Lippen und saugte an ihrem Zitronencocktail. Das Glas war schon fast leer, und der Strohhalm machte ein gurgelndes Geräusch, dabei schlug sie die Augen auf und strahlte ihn an. Als das Glas leer war, fuhr sie mit ihrer Zunge langsam über die Lippen, um auch noch den letzten Rest auszukosten. »Dieser Daikiri könnte mich süchtig machen. Möchtest du auch mal probieren, ich lad dich ein.«
Er wollte eigentlich nicht, stimmte aber zu. Die Art, wie sie den Kellner herbeiwinkte und die Bestellung aufgab, machte ihn eifersüchtig.
»Es sind deine ersten Leichenfotos. Würdest du sie mir abtreten? Als Erinnerung?«
Sie schaute ihm einen Moment intensiv in die Augen. »Ja. Wenn du eine Prognose abgibst, wer der Mörder ist.« Sie lächelte wieder, herausfordernd, bevor sie hinzufügte: »Und wenn die Prognose richtig ist.«
»Du meinst so in der Art – es war jemand aus seiner Familie oder jemand aus seinem beruflichen Umfeld oder jemand aus dem Umfeld seiner privaten Vergnügungen oder ein völlig Fremder, ein Zufall?«
»Ja. War es zum Beispiel jemand von der Insel oder ein Tourist?«
Er war sich nicht sicher, ob er sich über sie oder sich selbst ärgerte, weil die Fotos ihn in eine prekäre Lage bringen konnten. Doch mit einer Anweisung, alle diesen Fall betreffenden Fotos der Mordkommission zu übergeben, würde er bei ihr nichts erreichen. Schon mehrmals hatte sie ihm unmissverständlich klar gemacht, dass sie ihn als ihren Mann liebe, dass sie aber nicht Drohungen der Guardia weichen würde, nur weil er dort Beamter sei.
Weitere Kostenlose Bücher