Brennende Schuld
Und für das Erzwingen der Herausgabe der Fotos gäbe es keine Rechtsgrundlage. Ohne richterlichen Beschluss ginge das nicht, und den würden sie auf keinen Fall bekommen. (Er wollte auch nicht darüber nachdenken, ob er ihn überhaupt beantragen würde, wenn es gegen sie ginge. Die Antwort wäre Nein gewesen.)
»Es war ein Fremder«, sagte er.
»Von der Insel?« Sie wartete gespannt.
»Ja.« Die Antwort war beliebig. Er wollte nur sehen, wohin ihr Spiel führte.
»Es war jemand aus seinem beruflichen Umfeld«, sagte sie. »Und nicht von der Insel.«
Sie sahen sich einen Augenblick an, dann platzten sie vor Lachen, weil sie begriffen, dass es nur um ihre berufliche Eitelkeit gegangen war.
Er schaute auf die Uhr, es war schon später Nachmittag. Er winkte den Kellner herbei und verlangte die Rechnung. Während sie warteten und sich für den Abend verabredeten, kam der aufgeregte Anruf des Bischofs, um ihn schon wieder mit seiner Schleppnetztheorie zu nerven.
Karin hasste es, wenn er ihre Unterhaltungen mit einem Telefongespräch unterbrach. Er wusste das, aber er musste erreichbar sein. Sie stand auf, gab ihm einen Kuss und verschwand.
»Die Küstenwache. Letzte Nacht ist in der Cala Salada ein Fangschiff auf Grund gelaufen. Ich hatte also doch Recht, du wirst sehen«, triumphierte er.
Wenn der Bischof Recht hätte, wäre die Sache ein Kinderspiel: Der Täter könnte sich noch an Bord befinden. Die Papiere des Opfers müssten in dem Fall beim Kapitän liegen, bereit zur Einsicht, und in der Koje des Vermissten ließ sich mit Sicherheit genug DNA für einen Vergleich finden. Schön wäre es, sie könnten den Täter gleich mitnehmen, dann ein, zwei Anrufe noch, eine abschließende Sitzung, die Pressekonferenz (schnell und kompetent wie immer, würde Santander sagen), und der Fall wäre pan comido, gegessen. Und wenn nicht? Dann würde er auf einen Zufall hoffen müssen.
Wenig später fuhr Costa mit dem Bischof im Licht der gleißenden 18-Uhr-Sonne steile Serpentinen hinab in die kleine Bucht hinter San Antonio. Die ganze Fahrt über hatte er den inständigen Wunsch, den Fall jetzt gleich aufzuklären, damit er genug Zeit hätte, das Grundproblem mit Karin in Ruhe auszuräumen. Er bemerkte, dass hinter diesem Wunsch nichts anderes steckte, als mit ihr zusammen zu sein. Seine Obsession, mit der er Fälle aufkläre, sei krankhaft, hatte sie gesagt. Gut, gebe Gott, dass diese Obsession dazu führen würde, die Mörder des Seemanns, wie sie den Toten im Team jetzt nannten, gleich zu verhaften. »Meinst du, wir schnappen sie jetzt?«
»Sicher«, sagte der Bischof und schob sich eine kandierte Feige in den Mund.
Schon von weitem sahen sie zwischen den Kronen der Pinien das havarierte Boot. Wie ein schiefes Hochhaus steckte es zwischen den engen Felsen. Kräne und Kühlwagen waren eilig an den Strand gebracht worden, um die Ladung zu löschen und den Riesen vom Gewicht zu befreien, das ihn in den Sand drückte. Weiter draußen auf See warteten Schleppkähne.
Sie bahnten sich ihren Weg durch das Gewusel der Arbeiter, die große Fische verluden. Die Menge der Fernsehkameras, Fotografen und Schaulustigen war größer als bei der Ansprache von Gouverneur Matares zum Dreikönigstag.
Eine äußerst wacklige Plattform, die an einer Seilwinde befestigt war, beförderte den Bischof und Costa auf das zwanzig Meter höher gelegene Deck. Der Einsatzleiter der Küstenschutzpolizei begrüßte sie damit, dass Kapitän und Offiziere unter Arrest gestellt worden seien. »Wir haben ihnen bereits Blutproben abgenommen«, fügte er zu Costas Verwunderung hinzu.
»Blutentnahmen?«
»Die Havarie war Stunden vor dem Sturm. Aufgrund der Warnung suchte das Schiff Schutz in der Bahia. Es war zwar schon dunkel, aber mal unter uns, teniente: Es braucht schon einen ordentlichen Rausch, um die Hafeneinfahrt von San Antonio bei ruhiger See um drei Kilometer zu verfehlen.«
Alkohol am Ruder? Darauf wäre Costa natürlich nicht gekommen.
Der Einsatzleiter ging voraus und führte sie unter Deck.
»Das Schiff läuft unter französischer Flagge, aber die Mannschaft besteht ausnahmslos aus Senegalesen. Spricht einer von euch Französisch?« Er blieb an der Treppe nach unten stehen und sah sie an. Costa nickte.
Die Tür zur Messe wurde von zwei Bewaffneten bewacht. Bevor der Einsatzleiter sie öffnete, sagte er: »Sie fangen Roten Thun für eine Firma in Tunis. Die Papiere sind, soweit ich sehen konnte, in Ordnung. Viel Spaß.« Dann machte
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