Brennende Schuld
hatte es ihm bislang noch nie verdorben.
Elena Navarro starrte auf den Fliesenboden. »Gestorben ist er in der Nacht zum Sonntag, richtig?«
Torres nickte. »Zwischen acht Uhr abends und Mitternacht. Es ist keine Totenstarre eingetreten, dafür waren zu viele Muskelstränge zerstört.«
Der plötzliche Wechsel von Leben zu Tod, der Messerstich, der aus einem Individuum einen Kadaver machte, gab Costa jedes Mal das Gefühl, als stünde sein Herz für einen kurzen Moment still. Gestern Abend noch war Leben in diesem Körper gewesen, ein Tourist vielleicht, ein Familienvater. Gut möglich, dass er in einem der Restaurants im Hafen Botafoch gegessen hatte, eine urlaubsgebräunte Ehefrau im Arm, amüsiert über die Kinder, die versuchten, dem Kellner ihre Speiseeiswünsche klar zu machen. Womit hatte das Verhängnis begonnen? Hatte der Killer ihm aufgelauert? Eine Abrechnung? Und standen seinem Team noch weitere Leichen dieser Art bevor?
Aber wer war er überhaupt gewesen? Die notdürftig hergerichtete Karikatur eines menschlichen Gesichts würde sicher keinen Aufschluss darüber geben.
»Ich wette, keiner von euch kommt auf die Todesursache«, unterbrach Torres seine Gedanken.
Alle sahen ihn gespannt an.
»Erstickt«, sagte Torres. »Eine Kohlendioxydvergiftung. Und die Erfrierungen, die uns ja so unbegreiflich sind, entstanden erst nach seinem Tod.« Torres schaute in die Runde. »Was sagt uns das?« Er machte eine gewichtige Pause und ein paar Schritte durch den Obduktionsraum.
»Mach’s nicht so spannend, Torres«, sagte der Surfer.
»Nun, ich gebe zu, auch ich bin nicht sofort darauf gekommen. CO 2 – Verbrennungen – Erfrierungen – Erstickungstod.« Wieder eine Pause. »Trockeneis.« Er sang das Wort förmlich, berauscht von seinem Scharfsinn. »Trockeneis. Dieser Mann ist in einen Kühlraum mit Trockeneis eingeschlossen worden. Nach ungefähr zehn Minuten ist er durch die austretenden Gase des schmelzenden Eises ohnmächtig geworden. Vorher muss er versucht haben, sich aus seinem Gefängnis zu befreien. Dabei hat er sich die Nägel abgebrochen und seine Finger bis auf die Knochen abgeschabt. Nach etwa weiteren zehn Minuten ist er erstickt. Dann hat man ihn entkleidet und nackt auf das Trockeneis gelegt. Daher die Hautablösungen und starken punktuellen Erfrierungen.«
Der Surfer fand als Erster die Sprache wieder. »Das heißt, irgend so ein Metzger hat den Mann in seinem Kühlhaus eingesperrt und ihn dann im Meer versenkt?«
Torres machte eine unbestimmte Geste. »Er muss mit einer Waffe gezwungen worden sein, denn es gibt keine Hämatome. Er wurde weder gefesselt noch durch Schläge betäubt. Alle Hautabschürfungen und Frakturen sind dadurch entstanden, dass er von den Wellen gegen die Klippen geschmettert wurde. Ich schätze, etwa neun Stunden lang. Wäre der Sturm nicht gewesen, hätten wir ihn frühestens in zwei Wochen gefunden.«
Costa warf nochmals einen Blick auf das Etwas, das einmal ein Mensch gewesen war. »Also haben wir nichts.«
»Vielleicht meldet ihn ja jemand als vermisst.«
Elena ging nachdenklich um den Tisch. »Wie kam er aus einem Kühlraum ins Meer, ohne dahin geschleppt worden zu sein?«
»Seine DNA könnte uns weiterhelfen, sofern er aktenkundig ist«, schlug Costa vor.
»Die habe ich bereits an die Datenbank in Barcelona geschickt. Aber eine vollständige Rekonstruktion des Gesichtes …« Torres schüttelte den Kopf. »Es gibt eine Methode aus den Vereinigten Staaten. Zunächst müsste ich seinen Konstruktionstypus klären. Körperlich gearbeitet hat er anscheinend nicht, dafür sind die Muskeln zu wenig ausgebildet. Anhand seiner Weichteildicken, für die es Messwerttabellen gibt, werde ich Abstandstücke aus Weichplast auf den fehlenden Stellen auftragen. Anschließend müsste er dann aus verschiedenen Perspektiven, frontal und seitlich, fotografiert und gezeichnet werden.« Unvermittelt fragte er Costa: »Ihr wart schon bei den Zahnärzten? Der Zahnstatus ist wie ein Fingerabdruck.«
Bevor Costa antworten konnte, rief der Bischof: »Ich hab’s! Die Schleppnetzfangflotten.«
Alle sahen ihn verständnislos an.
»Die Trawler vor der Drei-Meilen-Zone. Sie frieren ihren Fang direkt an Bord ein. Wäre doch möglich, dass er ein Matrose war, der über Bord geworfen wurde, nachdem ihn jemand im Kühlhaus gekillt hat. Leuten, die unsere Fische einfrieren, traue ich alles zu.«
»Wenn man ihn über Bord geworfen hätte«, dachte Costa laut, »läge er jetzt zweihundert
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