Brennende Schuld
Seitenblick ihre gut geschnittene Wangenpartie betrachten konnte. Die zwei obersten Knöpfe der Khakibluse waren geöffnet. Er dachte an den Satz eines Abteilungsleiters in Hamburg -je attraktiver die Kolleginnen sind, desto schwieriger ist die Situation.
Sie bemerkte sein Lächeln und fragte ihn mit einem burschikosen Zwinkern, ob etwas an ihr nicht stimme.
»Doch, alles klar. Und bei mir?«
»Bei dir stimmt die Freundin nicht.« Das kam im selben Ton, als würde sie sagen, ich glaube, wir haben nicht genug Benzin.
Trotz des unübersichtlichen Verkehrs sah er sie kurz an, ob das ein Witz war. Aber es schien keiner gewesen zu sein.
»Was meinst du damit?«
»Dein Chef kommt rein und sagt, keine Presse, insbesondere keine Fotos, und du bringst deine Freundin mit an den Tatort und lässt sie alles ablichten, noch bevor unser Fotograf da ist. Sie fotografiert auch für den Diario, eine ganze Serie über die Nekropolis.«
»In dem Artikel, den ich gelesen habe, waren keine Fotos.«
»Die kamen am nächsten Tag, eine ganze Serie.«
Costa war erstaunt, wie gut sie informiert war. Ob sie immer wusste, was in den Zeitungen stand, oder ob sie sich speziell für Karin interessierte? Etwa aus Eifersucht?
Das wäre ihm die angenehmste Erklärung gewesen.
»Liest du immer alles in den Zeitungen?«
»Nein, aber die Nekropolis ist erst kürzlich zum Weltkulturerbe erklärt worden. Das sind Dinge, die man doch wissen sollte, oder?« Sie sah ihn fragend an.
Er gab ihr Recht.
»Karin hat mir versprochen, die Fotos nicht weiterzugeben.«
»So?«
Er überhörte nicht den Spott in ihrer Stimme.
»Ich kann sie nur darum bitten. Sie ist Journalistin und kann Fotos machen, wo und wann sie will, wenn der Tatort nicht abgesperrt ist. Er wird auch nur abgesperrt, um das Verwischen von Spuren zu verhindern.« Er ließ sie nicht zu Wort kommen. »Wenn sie ein Teleobjektiv hat und den Tatort gar nicht betreten muss, kann man ihr weder das Fotografieren verbieten noch die Fotos abnehmen.« Er fügte noch mit Nachdruck hinzu: »Das nennt man Pressefreiheit.«
»Wenn sie die Fotos nicht veröffentlichen will, warum hat sie sie dann gemacht, frage ich ja nur.«
»Weiß ich nicht. Bin kein Motivforscher.«
»Gab es irgendetwas, was ihr aufgefallen ist und uns nicht?«
Er war am ersten Kreisverkehr von Ibiza angekommen. Ein Wagen nahm ihm die Vorfahrt, und er hupte wütend.
»Vielleicht kann sie uns bei der Identifikation des Toten helfen?«, sagte sie.
Costa verzichtete auf eine weitere Bemerkung.
kapitel fünf
Im Licht der Neonlampen sahen sie die Verletzungen so deutlich, dass Costas Fantasie versagte. Er konnte sich nicht vorstellen, wie sie entstanden waren. Sie wirkten wie für eine Schau künstlich hergestellt. Fleisch und dunkelbraunes Blut, wirkungsvoll platziert auf einem Edelstahltisch. Costa hatte schon oft darüber nachgedacht, ob der allein stehende, kinderlose Pathologe einen besonderen Hang zum Morbiden hatte. Das Gegenteil schien der Fall: Torres liebte das Leben, Konzerte von De Falla und Ravel, Gespräche über Kunst und Wein, Pferderennen und Feste. Bei aller Skepsis fand er seinen Beruf wichtig und war der festen Überzeugung, dass ihn jemand so gut wie möglich machen musste. Costa nahm das so hin. Er schätzte Torres’ Ansichten und Kompetenz, und das war das einzig Wichtige.
Auch jetzt hatte der Arzt schnell und effizient gearbeitet, die Leiche bereits geöffnet, die erforderlichen Körperflüssigkeiten entnommen und seinen Befund geschrieben. »Beim Gesicht konnte ich leider auf die Schnelle nicht viel machen. Ich habe versucht, die Muskeln wieder zusammenzunähen und die Nase aufzubauen. Er war übrigens Brillenträger. Hier, hinter den Ohren sieht man deutlich die Druckstellen. Seine Leber ist völlig in Ordnung, aber seine Lunge hätte ihn früher oder später umgebracht. Ein Raucher.«
Costa trat einen Schritt näher an den Tisch. Der Geruch von Verwesung und Formaldehyd stach ihm in die Nase. Wie viele solcher Leichen er in den Jahren seines Berufes gesehen hatte, konnte er nicht sagen. Aufgeschlitzt, verfault, zerstückelt oder äußerlich unversehrt. Machte ihm das den Tod alltäglicher? Er sah zu den anderen. Was in Elena vorging, wusste niemand. Der Surfer hatte sich auf den Drehstuhl des Doktors gesetzt und wackelte mit der Sitzfläche hin und her. Und der Bischof? Wahrscheinlich war es für ihn kein Unterschied, ob er ein Schwein schächtete oder einer Leiche gegenüberstand. Den Appetit
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