Brennende Schuld
Kontakt kommen wollte. Diese allgemeinen Geschichtsausführungen schienen ihn nicht sehr zu fesseln.
Karin ging auf seinen Flirtversuch nicht ein. »Das Thema waren die Ausgrabungsarbeiten an der Nekropolis, aber mein eigentliches Interesse gilt der Frau, die diese Forschungsarbeiten leitet. Ich muss zugeben, ich bin vollkommen fasziniert von ihr. Ich bewundere …«
Der Vater unterbrach sie. »Wie heißt sie denn?«
»Dr. Laureana Sanchez. Sie ist die Koryphäe auf dem Gebiet der punischen Geschichte. Aber das ist nicht der Grund, ich bewundere sie, weil sie ein Leben führt, das von Unbedingtheit gekennzeichnet ist. Mich haben solche Frauen immer fasziniert. Wenn man ihr gegenübersteht, spürt man intensiv ihre Entschiedenheit. Sie ist nicht eine von den ibizenkischen Sonnenpflanzen, nicht eine aus der Fun-Gesellschaft, die von nichts weiß und gerade deswegen fröhlich ist.«
»Sieht sie denn interessant aus?«, fragte der Vater.
Costa hatte das dritte Glas Champagner getrunken, saß bequem zurückgelehnt, die Hände im Schoß. Er hatte sich vorgenommen, das Essen entspannt zu genießen und sich auf keinen Fall irgendeine Führungsrolle bei der Unterhaltung aufdrängen zu lassen. Für seinen Geschmack lief das gut, und er amüsierte sich über die zunehmend angestrengten Versuche des älteren Herrn, der vor seiner Pensionierung Leiter der Finanzverwaltung in Paderborn gewesen war. Er wollte an dem Geburtstag seiner Tochter seine angestammte Rolle spielen, doch immer wieder bemühte er sich vergeblich, dem Tischgespräch eine andere Wendung zu geben. Costa verfolgte die Unterhaltung amüsiert.
»Wie die Archäologin aussieht? Sie erinnert mich an die römische Darstellung von Dido, der Gründerin Karthagos. Auch wenn sie nah ist, wirkt sie wie eine ferne Erscheinung. Erhaben.«
»Wie unsere Kanzlerin.« Er lachte glucksend.
Costa konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, denn so eine Bemerkung hätte ihm von Karin eine scharfe Replik eingebracht.
»Sie ist Spanierin. Aber man merkt ihr an, was sie tut, das ist vielleicht die Ähnlichkeit zu Dido. Sie erforscht die Geschichte, und das, was sie tut, ist das Durchwühlen eines Berges, auf dem sie steht und der dreitausend Jahre hoch ist.«
Er unterbrach sie wieder. »Klingt ja alles wunderbar, aber was macht sie denn konkret?«
Costa versuchte sich die Frau vorzustellen, von der Karin so angetan war. Ob sie wohl offen und sympathisch war?
»Sie überzeugte eine Gruppe geschichtsbewusster Ibizenker, den Antrag zu stellen, die Nekropolis von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklären zu lassen. Dieser Versuch stieß auf heftigen Widerstand der Lokalpolitiker, die auf dem Gelände ein Einkaufszentrum bauen wollten. Es sah so aus, als ließe sich das nicht verhindern. Aber die Sanchez schaffte es auf der Jahrestagung des World Heritage Committee im letzten Herbst in Marokko mit einer einzigen Rede, das Komitee auf ihre Seite zu bringen. Hätten die Phönizier 700 vor Christus nicht Ibiza besiedelt, dann hätte sich das Römische Reich ungehindert ausdehnen können, war ihre These. Durch ihr Handelsimperium verbanden sie die Kulturen des Mittelmeeres, verlangten aber keine Unterwerfung wie die Römer. Sie schützten die Seewege militärisch und begannen den Krieg gegen Rom. Ibiza war der wichtigste Stützpunkt für die phönizische Eroberung Europas.«
Karin machte der Geburtstagsrunde klar, dass sie ohne die Karthager weder das Glas kennen würden, noch ein Alphabet hätten. »Die Karthager brachten das Wissen von der Gewinnung von Purpur, sie brachten ihre Kultur, ihre Götter, ihren Totenkult auf diese Insel, wo nur ein paar Ureinwohner auf den Affenbrotbäumen saßen. Sie waren die wirklichen Helden der Sagen Homers, aber sie hinterließen nur wenige Schriftstücke. Also konnte man ihre Leistungen nur durch die Rekonstruktion der Artefakte begreifen. Die Nekropolis von Ibiza ist noch vor Karthago im heutigen Tunesien weltweit der größte Fundort für diese Artefakte. Nachdem Ibizas Akropolis schon Weltkulturerbe war wie zum Beispiel die ägyptischen Pyramiden, schaffte sie es, auch die Nekropolis unter diesen Schutz zu stellen. Und endlich bekam sie Geld von der UNESCO für die umfangreichen Ausgrabungsarbeiten und um das Gelände vor Grabräubern zu schützen. Sie gab ihren Lehrstuhl an der Universität von Madrid auf und wurde Direktorin des archäologischen Museums und des Museo Monografico am Mühlenhügel, um die Arbeiten persönlich zu leiten. Ihre
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