Brennende Schuld
haben einfach nur einen Teil ihres Landes verkauft und haben genügend Millionen.«
Es war das Hauptgeschäft von Prats als Politiker, solchen Widerspenstigen irgendetwas zu besorgen, das sie brauchten, wenn sie ihm dafür ihr Land verkauften. Aber manche brauchten eben nichts, wie dieser Bauer in Barcelona.
Sie war nicht überrascht gewesen, als sie den Gang unter der Grotte gefunden hatte, denn sie wusste von ihrem Vater, dass es überall auf der Insel tiefe Brunnen, Gänge und Höhlen gab. Er hatte ihr erzählt, dass die Insel jahrhundertelang von Piraten überfallen worden war, die nach langer Seefahrt Wasser, Proviant und Frauen brauchten. Die Bewohner hatten Festungstürme an den Küsten gebaut, von denen aus sie die Schiffe sehen konnten. Außerdem versuchten sie, sich in der Nähe ihrer Höfe unter der Erde zu verstecken. Die Insel bestand zumeist aus weichem Kalkstein, und es gab ohnehin vom Meer gegrabene Höhlen und Gänge überall. Das war die leichteste Art, den Überfällen zu entgehen. Und auch die klügste, denn die Piraten belagerten wegen der Frauen manchmal die Festungstürme, nachdem sie die Höfe geplündert hatten, aber sie kamen nicht darauf, dass die Bäuerlein unten in den Höhlen hockten. Als Seeleute wussten die Piraten nicht, dass Feldmäuse schnell im Loch verschwinden, wenn sich ein Schatten am Himmel oder am Meer zeigt.
Aber sie wusste es und fand schnell und einfach den Ausgang durch den Brunnen der alten Finca. Zurück benutzte sie den Weg auch, weil es ihr dann immer war, als würde sie mit ihrem Vater zusammen nach Hause kommen.
Die Grotte im Park war von hohen Büschen Christusdorn verdeckt, und sie hatte Mühe, eine Schneise hineinzuschneiden, die man nicht bemerkte. Vom Drachenbaum waren es noch zwanzig Schritte Richtung Villa, und erst dann war sie sichtbar – vom Gartenplatz aus, in dessen Mitte der Springbrunnen war. Von dort bis zum Haus waren es dann noch hundert Meter.
Sie kletterte auf eine Leiter und beobachtete ihre Mutter durch das Küchenfenster. Sie wies gerade die beiden Hausmädchen an, wie sie den Fisch zubereiten sollten, und notierte etwas für die Mädchen. Die beiden nahmen den Zettel entgegen und verschwanden. Die Mutter starrte in die Luft, eine Hand im Schoß, die andere auf dem Tisch. Neben ihr stand das braune Glas mit den gelben Patronen und dem roten Schraubverschluss. Ihr schwarzes Haar hatte sie straff nach hinten gekämmt und auf die Wangen Rouge gelegt. Ihre Haut war so weiß, als hätte sie sie gepudert. Die Lippen lagen unter einem stumpfen dunklen Rot, das an späte Rosen erinnerte. Ihre Augen schienen immer tiefer im Kopf zu versinken. Die Mutter löste das Haar und fuhr mit den Fingern hindurch. Sie hielt ihre Hand ins Licht und betrachtete die ausgefallenen Haare, die sie nun mit den Fingern zusammenrollte und vor sich auf den Tisch legte. Sie fuhr erneut mit der Hand durch das Haar und knäuelte alles zusammen. Sie wiederholte es, bis sie fünf Haufen vor sich hatte.
Die Mutter warf die Haarausbeute in den Mülleimer und verließ die Küche.
Schnell sauste sie ums Haus und kam zur Vordertür herein. Die Mutter fragte, wo sie gewesen sei.
»Bei einer Freundin«, antwortete sie, obwohl sie längst keine Freundin mehr hatte.
Die Mutter ging weiter, indem sie sich am Treppengeländer hinaufzog, und sie verschwand in der Küche. Sie aß alle Oliven aus der Schale auf und spuckte jeden einzelnen Kern in den Müll, den Haaren ihrer Mutter hinterher.
Dass ihr Vater am Leben war, fand sie an dem Tag heraus, als Jaume Prats nach Paris flog. Es war der 3. September 1970. Die Mutter brachte ihn morgens zum Flughafen. Sie wollte, dass ihre Tochter mitkäme, um sie hinterher an der Schule abzusetzen.
Es gab keinen langen Stau in dem Kreisel nach San Jordi, und so waren sie zu früh am Airport. Die Mutter wollte mit Jaume Prats, mit dem sie nun verheiratet war, noch einen Kaffee trinken und ärgerte sich darüber, dass es weder ein Café noch einen Kiosk gab. Er aber hatte vergessen, einen Brief einzuwerfen, und beauftragte seine Stieftochter, ihn zu dem Postkasten zu bringen, der auf der nördlichen Seite des Flughafengebäudes war. Er selbst wurde von einem Angestellten der Iberia erwartet und folgte ihm zusammen mit der Mutter. Onkel Jaume muss sich nie irgendwo anstellen, dachte sie, rührte sich aber nicht vom Fleck.
Nach einer Weile wurde ihr langweilig, und sie ging in Richtung Briefkasten. Vorbei an den Ankommenden, die darauf
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