Brennende Schuld
»Sie sagen, mein Mann hat sich mit Verbrechern eingelassen, die in großem Stil Medikamente in Afrika gestohlen und über diese Insel nach Andorra geschmuggelt haben. Und Sie haben vorhin auch angedeutet, dass sein Tod kein Unfall war.«
Costa nickte, während er die Fotos langsam weiterklickte – Keulemans umringt von lachenden Kindern zwischen Wellblechhütten, mit geschultertem Gewehr auf einem offenen Transporter, mit anderen Soldaten in einer Unterkunft, eine Schlange um seinen Hals, mit einigen Touristen an einer Hotelbar. Er gab den Befehl ein, die Fotos nach Änderungsdatum zu sortieren. Das Letzte in der Liste war nicht aus Afrika. Es war ein Porträt.
»Und dieser Pilot, der morgen geehrt wird, könnte derjenige sein, der …« Ihre Stimme brach ab, als das Konterfei eines Mannes, starr und puppenhaft, auf dem Bildschirm erschien. Alles ein wenig zu präzise, keine Unregelmäßigkeiten, die es menschlich hätten machen können. Für Marit Keulemans war es nur die gelungene Computerrekonstruktion eines Männergesichts. Costa sah etwas anderes.
Er erkannte ihn wieder – nur hatte der Mann, von dem dieses Portrait gemacht worden war, in dem Moment, als die Kamera klickte, eine zerschlagene Nase, zerschnittene Wangen und ein totes Fischauge. Als dieses Foto von ihm gemacht wurde, war er ein Kadaver am Strand, und Costa hatte daneben gestanden, als Karin ihn fotografierte. Doch nun, hier im Computer, war ihm alles zurückgegeben worden – Nase, Wangen, Haut, Lippen und Augen, die traurig ins Leere starrten.
Wie war dieses Foto in Keulemans’ Computer gekommen? Wie war Keulemans diese Rekonstruktion gelungen?
Die Abhörbänder fielen ihm ein: ›Ich würde es gerne einmal sehen. Ob ich dir helfen kann, wird sich zeigen.‹ ›Ich brauche es nicht mehr. Auf CD?‹
Hatte Keulemans bei der Rekonstruktion wild improvisiert? Pure Fantasie, um Karin zu beeindrucken? Oder hatte er den Mann gekannt und sein Gesicht deshalb besser als jeder andere rekonstruieren können? War er ein Mörder, der sein Opfer zerstückelt und dann am Computer wieder zusammensetzt? Wusste Karin, dass Keulemans diesen ermordeten Menschen kannte? Wenn sie es wusste, hätte sie es ihm sagen müssen. Er fühlte ihren möglichen Verrat wie einen Grippeschauer.
Costa druckte das Foto aus und stand auf.
Marit Keulemans setzte sich auf seinen Stuhl. Sie öffnete ein anderes Foto, das sie lange betrachtete. Dabei saß sie so regungslos, dass es Costa unbehaglich wurde. Als er sich vorbeugte, sah er, dass sie weinte.
Ein Marktplatz mit Kopfsteinpflaster, umgeben von flämischen Patrizierhäusern, davor ein Mann und eine Frau, die sich im Arm halten, ein Golden Retriever, der sie freudig umwedelt.
»Ist das Ihr Hund?« Costa wollte sie trösten.
»Ja, Beauchamps. Das ist unser letztes Foto. Zwei Wochen ist das erst her. Und jetzt ist Gilles tot.«
Costa beugte sich abrupt zum Bildschirm. »Was haben Sie gerade gesagt?«
»Und jetzt ist er tot.«
»Nein, davor. Wann wurde das Foto aufgenommen?«
»Am 29. August. Am Sonntag. Gilles ist am Samstag früh in Antwerpen angekommen und am Montagmittag nach Ibiza zurückgeflogen.«
Er hätte Marit Keulemans die gute Nachricht gerne mitgeteilt: Ihr Mann hatte die drei Menschen in der Höhle nicht umgebracht. Aber sie hatte von der schlechten Nachricht ja niemals gewusst.
kapitel achtundzwanzig
Nach der Schule, die heute früher zu Ende war, wählte sie nicht den oberirdischen Weg durch das Eingangstor mit dem Wächterhäuschen die lange Auffahrt hinauf, sondern den unterirdischen Gang, der von der abgebrannten Finca, die der eigensinnige Bauer nicht verkaufen wollte, zu der Grotte in Onkel Jaumes Park führte.
Immer wieder war die Finca das Thema bei Tisch. Wann immer es unauffällig möglich war, erzählte sie von irgendwelchen Beobachtungen, die sie hinsichtlich der Finca gemacht hatte, und genoss dann die Macht über Onkel Jaume, der auf solche Anregungen wie ein Aufziehmännchen reagierte. Er, der sonst kaum redete, hielt dann lange Vorträge über den Schaden von Eigensinn und anarchistischem Individualismus, fluchte über die Tochter des Bauern in Barcelona, bei der er lebte und die vermutlich dahintersteckte, um den Preis heraufzutreiben. Auch schimpfte er über den plötzlichen Reichtum der Insulaner, der sie unfähig mache, sich ökonomisch vernünftig zu verhalten, einfach weil sie kein Geld mehr brauchten. »Sie haben es nicht verdient, sie wissen gar nicht, wie das geht, sie
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