Brennende Sehnsucht
Vielleicht besser als Ihr, denn er hat nichts vor mir verheimlicht. Ich weiß, dass er sich danach sehnt, irgendwohin zu gehören, dass er sich nichts sehnlicher im Leben wünscht, als sich um Brookhaven zu kümmern, das er liebt. Ich weiß, dass er sich darüber grämt, was wir Euch angetan haben...«
»Das bezweifle ich.«
»Daran solltet Ihr niemals zweifeln«, entgegnete sie. »Ihr müsst wissen, dass ich es war, die ihn verführte. Er tat sein Bestes, der Versuchung zu widerstehen. Ich muss zugeben,
dass er nicht sehr erfolgreich damit war, aber er hat darin ja auch so wenig Erfahrung. Diese ganzen verheirateten Damen und lustigen Witwen...« Sie zuckte die Achseln. »Ich fürchte, er sieht ein klein wenig zu gut aus, als dass es ihm guttäte.«
Er zog die Stirn in Falten. »Das alles hat er Euch erzählt? Ich bin überrascht. Zu beichten ist nicht seine übliche Art der Verführung.«
»Das versuche ich Euch doch die ganze Zeit zu sagen, Calder. Er spielt mir gegenüber keine Rolle. Er ist nur Rafe, nicht länger unehelicher Sohn und verachteter Bruder, Spieler oder leichtlebiger Liebhaber – nur ein Mann ohne wirkliche Heimat in dieser Welt.«
Calder drückte den Rücken durch. »Ich habe ihn nie verachtet. Ich habe ihn nie meines Hauses verwiesen.«
»Nein. Das weiß er. Aber es wird niemals sein Haus sein, könnt Ihr das nicht verstehen? Könnt Ihr Euch vorstellen, wie es für ihn gewesen sein muss, mit Euch zusammen aufzuwachsen und zu wissen, dass sein Haus, sein Erbe niemals wirklich ihm gehören würde? Ein ehelicher Sohn, selbst ein jüngerer, muss die Hoffnung nicht aufgeben, dass er einmal erben oder zumindest Teil der Erben sein könnte. Ein illegitimer Sohn, insbesondere einer mit dieser ganzen Liebe für das Land, die ein Vater sich nur wünschen kann, erzogen für die Erfüllung all jener Pflichten, denen Ihr nachkommt – ein solcher Sohn hat diesbezüglich keinerlei Hoffnung.«
»Er hatte seine Möglichkeiten«, sagte Calder steif. »Er hat seinen ihm zustehenden Anteil erhalten, als unser Vater starb. Er hat ihn am Spieltisch und mit Frauen verschwendet.«
»Er war achtzehn! Und wütend und einsam. Er liebte Euren Vater, egal wie sehr der Marquis Euch ihm vorzog. Er hat
Fehler gemacht, viele Fehler. Doch habt Ihr denn nicht bemerkt, dass er sich seit Eurer... Eurer Krise... geändert hat? Er ist zurückgekehrt, um Euch zu helfen, damit Ihr nicht allein seid.«
Calder stand abrupt auf und trat mit kantigen Bewegungen ans Fenster. Nach einer ganzen Weile strich er sich mit der Hand übers Gesicht. »Ich habe gedacht, ihm wäre das Geld ausgegangen. Ich habe gedacht, er würde meine Situation als Garantie ansehen, dass ich ihn nicht vor die Tür setzen würde.«
Sie hob eine Hand, berührte ihn jedoch nicht. Er war nicht der Typ Mann, der getröstet werden wollte. »Er hat sich geändert. Er hat seine Schulden bezahlt, geht nicht mehr zum Spielen. Er war seit Jahren nicht mehr betrunken.«
»Einmal.«
»Was?«
»An dem Tag, an dem ich ihm erzählte, dass Ihr zugestimmt hättet, mich zu heiraten, hat er sich bis zur Bewusstlosigkeit betrunken.«
»Ah.« Sie atmete aus. »Das war ein Versehen. Ich habe gedacht, der Antrag käme von ihm. Ich kannte seinen vollen Namen nicht.«
Calder drehte sich wieder um und sah sie an. »Das habe ich mir irgendwann gedacht.«
»Habt Ihr das? Warum dann...«
Er wandte den Blick ab. »Ihr habt mir gefallen. Ihr seid... so ganz anders als die meisten Frauen. Ich habe gedacht, dass Ihr, wenn Ihr mich erst einmal kennenlerntet, dass Ihr dann vielleicht...« Er zuckte die Achseln. »Wie auch immer, es war ja nicht so, dass ich die Verlobung hätte auflösen können, ohne einen enormen Skandal heraufzubeschwören.«
Zu wahr. Diese Drohung hatte sie lange Zeit abgehalten, ebendieses zu tun.
»Damals wäre es ein kleinerer Skandal gewesen, als es jetzt einer sein wird«, sagte sie kläglich.
Er musterte sie erneut mit seinem dunklen Blick. »Dann tut es nicht. Lasst... lasst die Angelegenheit fürs Erste ruhen. Falls Rafe zurückkehrt, wird genug Zeit sein, die Sache geradezurücken.«
Dem Wahnsinn entgehen, bis sie Rafe wieder an ihrer Seite wusste? Das war verführerisch. Gott, wie sehr sie ihn vermisste! Die Sorge nagte ständig an ihr. Oh Rafe! Sie schlang die Arme um ihre kalte Mitte. Wo bist du nur?
Calder wartete auf ihre Antwort. Sie atmete ein. »Aber die Welt beobachtet uns, Mylord. Würde es nicht irgendjemand merkwürdig finden, dass die
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