Brennende Sehnsucht
Silbe zu verraten, und hoffte, dass Tessa nicht die ganze Wahrheit wusste.
In jener Stunde, die sie allein mit Mr Marbrook verbrachte hatte, war nichts geschehen, dessen sie sich schämen musste. Sie hatten sich nur unterhalten – hauptsächlich. Und doch sah es schlecht für sie aus.
Sie knotete sorgsam den Gürtel ihres Morgenrockes und ging erhobenen Hauptes, aber mit weichen Knien in Tessas Salon. Ihre alten Ängste meldeten sich noch lauter, als sie dort sehen musste, dass Tessa auch ihre Cousinen Deirdre und Sophie geweckt hatte.
Tessa richtete ihren starren Blick auf Phoebe. Jetzt war der Moment gekommen, da sie für gestern Abend würde zahlen müssen. Oh Himmel, wenn Tessa es dem Vikar erzählen
würde, und das würde sie zweifellos tun, denn nichts wäre ihr lieber, als Phoebes Chancen auf den Gewinn des Erbes zu schmälern, wenn das passierte, würde Phoebe mit der ersten verfügbaren Postkutsche nach Devonshire zurückgeschickt.
Oh Himmel, der Vikar würde so wütend werden!
»Phoebe, du hast einen Heiratsantrag erhalten.«
Heirat?
Könnte er von ihm stammen?
Phoebes Knie gaben nach, und sie ließ sich neben Sophie auf die Sitzbank fallen. Tessa fuhr fort, aber Phoebe konnte sie kaum hören, so sehr rauschte ihr das Blut in den Ohren. Sie saß ganz still, Hoffnung wirbelte durch ihr Innerstes, während ihre Tante irgendeinen ellenlangen Titel zum Besten gab. Es gab nur einen einzigen Namen, den sie hören wollte, und ihr Herz machte einen Satz, als sie ihn endlich vernahm.
Marbrook.
Der Gedanke glättete die scharfen Kanten der Furcht, mit der sie seit ihrem sechzehnten Lebensjahr gelebt und sich in den Schatten ihres einzigen, riesenhaften Fehlers versteckt hatte.
Marbrook. Wenn sie ihn haben, mit ihm leben konnte, seine Frau, Herrin seines Haushaltes – seine Geliebte! – sein konnte, dann wäre sie auf mehr als eine Art gerettet!
»Phoebe?« Tessas Stimme war vor unterdrücktem Zorn ganz spitz. »Willst du nicht antworten?«
»Ja.« Es war so einfach. Mit einem Wort war ihre unsichere, verzweifelt verwirrende Zukunft geklärt, und der Schein, den Persönlichkeit und Status dieses einen Mannes ausstrahlten, durchschnitt den Nebel ihres Daseins und erhellte die hinterste Ecke ihres Lebens. »Sagt ihm, meine Antwort ist ja.«
»Aber... er ist kein Herzog«, sagte Sophie leise.
»Nein«, erwiderte Lady Tessa säuerlich. »Aber er wird einer sein.«
Phoebe blinzelte. »Was?«
Tessas Augen waren vor Missgunst ganz schmal. »Es stimmt. In wenigen Wochen, vielleicht auch nur Tagen. Sein Onkel, der neunte Herzog von Brookmoor, liegt im Sterben.«
Ein Herzog. Wie merkwürdig. Sie hatte sich einen Herzog immer steifer vorgestellt, irgendwie herzöglicher. Marbrook war ganz und gar nicht so gewesen. Er war ihr eher ein bisschen skandalös vorgekommen.
»Ist er ein Mann von Ehre?« Schließlich konnte selbst ein Herzog ein Schurke sein.
Tessa verdrehte die Augen. »Ich weiß zwar nicht, weshalb du dir darüber Gedanken machst, da er doch ein Herzog sein wird, aber ja, er ist wirklich ein ehrbarer Mann. Durch und durch.« Ihr Tonfall ließ erkennen, dass sie sich fragte, was ein solcher Mann an Phoebe finden konnte, aber Phoebe lächelte nur still vor sich hin.
Sie waren verwandte Seelen. Das hatte er letzte Nacht gemerkt. Er hatte selbst ein ruheloses Wesen, ein abenteuerlustiges Funkeln in den Augen, das ihr eigenes schlafendes Blut geweckt hatte. Ein Mann wie er würde ihr ihre Jugendsünde nicht vorhalten.
Und bald wäre er Herzog. Phoebe konnte ihr Glück kaum fassen. Sie würde auch noch das Pickering-Vermögen erben!
Etwas, das sich vor langer Zeit zu einem wütenden, bedauerlichen Knoten in ihrem Innern verschlungen hatte, löste sich gerade auf. Sie sollte eine unabhängige reiche Herzogin werden?
So eine Frau brauchte niemanden zu fürchten als die Königin! Sie wäre eine Prinzessin ohne Titel. Ihr standen alle
Türen der Gesellschaft offen, niemand würde sie vor ihr verschließen, ganz egal welcher Skandal aus ihrer Vergangenheit ans Licht der Öffentlichkeit treten würde.
In Sicherheit. Für immer und mit ihm zusammen.
Sie bedeckte das Gesicht mit beiden Händen und atmete tief ein, um sich gegen die Schauer zu stärken, die durch ihren ganzen Körper liefen.
Neben ihr knarrte leise die Bank. Es musste Sophie sein, denn sie konnte keine teure Seide rascheln hören.
»Phoebe«, sagte Sophie sanft. »Geht dir das Ganze zu schnell? Willst du deine Entscheidung nicht noch
Weitere Kostenlose Bücher