Brennende Sehnsucht
damit halbherzig Anerkennung. »Wenigstens ist sie keine von diesen Reedereierbinnen. Ich kann Reedereierbinnen einfach nicht ausstehen. Viel zu sehr von sich eingenommen, alle miteinander.«
»Nein, sie will ganz sicher nicht zu hoch hinaus. Ihre Tante ist Lady Tessa, die Witwe von Cantor. Du kanntest Cantor recht gut, nicht wahr?«
Calder schaute ihn abschätzend an. »Da hast du recht.« Dann war sein Interesse geweckt. »Pickering, hm? Da hatte es ein recht ansehnliches Vermögen gegeben, wenn ich mich recht entsinne, wenn es auch wohl nicht lange hielt. Was ist wohl daraus geworden?«
Man konnte sich darauf verlassen, dass Calder das Preisschild studieren würde. »Ich nehme an, es hat sich wie die meisten Vermögen mit der Zeit in Luft aufgelöst.«
Calder warf ihm einen Seitenblick zu. »Hm. Na ja, ich nehme an, damit kennst du dich aus.«
Rafe atmete beherrscht aus. »Du machst dich. Es hat diesmal fast vier Minuten gedauert, bis du es zur Sprache gebracht hast.«
Calders Mundwinkel zuckten kaum merklich. »Ich bemühe mich.«
Rafe verschränkte die Arme und starrte auf den Marmorboden. »Noch einmal – ich habe meinen Anteil nicht verspielt. Ich habe ihn investiert. Und bei manchen Investitionen dauert es eine Weile, bis sie sich auszahlen. Schiffe brauchen ihre Zeit, um in den Hafen einzulaufen. Von allen Menschen solltest du das doch am besten wissen.«
Calder zuckte die Achseln und wandte den Blick ab. Sein Interesse war erloschen. »Ich habe keine Lust, mich heute Nacht mit dir zu streiten. Ich bin hier, um mir eine Frau zu suchen.«
Eine Frau.
Rafe schaute quer durch den Saal, wo Phoebe mit ihrer Familie stand. Sie lächelte nicht mehr, aber der Ausdruck ernsten Nachdenkens in ihrem Gesicht stand ihr fast genauso gut. Sie mochte wunderlich sein, aber sie war nicht dumm. Er fühlte sich selbst über die Distanz zu ihr hingezogen, als wäre sie mit einem Seil mit ihm verbunden – und er mit ihr.
Noch gestern hätte ihn dieser Gedanke die Flucht ergreifen lassen. Jetzt schien er ihm eine gewisse innere Ruhe zu verleihen.
Zum ersten Mal schien Calder seine Zerstreutheit zu bemerken und hob nun selbst den Blick und schaute zur anderen Seite des Ballsaals hinüber. »Welche ist es?«
Rafe unterdrückte ein besitzergreifendes Lächeln und machte seinen Bruder auf Phoebe aufmerksam. »Dort, bei
den Musikanten. Neben der Blonden.« Gott, sie sah selbst aus der Entfernung herrlich aus. Woran mochte sie denken, dass ihre Wangen so sehr glühten?
Zweifellos an dasselbe wie er.
Calder blickte nachdenklich quer durch den Saal. »Die... äh, die Mütterliche?«
Rafe bemühte sich sehr, nicht die Augen zu verdrehen. Calder konnte manchmal ein solcher Langeweiler sein. Warum sagte er nicht einfach: »Die mit dem Wahnsinnsbusen«? Doch andererseits war Rafe nichts daran gelegen, dass seinem Bruder die gute Figur seiner zukünftigen Verlobten auffiel. »Genau. Die.«
»Die Blonde ist hübscher.« Calder schürzte ein wenig die Lippen. »Aber sie sieht aus, als wäre sie ein feiner Kerl. Fröhlich. Verfügt auch über gute Verbindungen. Der alte Pickering war ein Kaufmann, aber nach zwei Generationen kümmert das keinen mehr, solange die Familie einen guten Ruf hat.«
Aus Calders Mund war ein solcher Kommentar so gut wie ein Lob. Rafe entspannte sich. Es würde keinen Kampf wegen seiner Verlobung mit Phoebe geben, solange er sich Zeit ließ und die Angelegenheit richtig und anständig anging.
Aber wenn Calder ihren Wert erkannte, dann könnten es auch andere tun. Vielleicht sollte er sich doch nicht so viel Zeit lassen.
Je eher, desto besser. Je eher er Phoebe für sich hatte, in seinem Haus, in seinen Armen, in seinem Bett.
Ja! Je eher, desto besser. Ganz gewiss.
Fünftes Kapitel
A ls Phoebe am nächsten Morgen erwachte, wurde sie von Lady Tessa höchst unsanft aus dem Schlaf gerüttelt.
»Um Himmels willen, Phoebe, wach auf! Es ist gleich neun! Gütiger Himmel, du schläfst, als wärst du tot!«
Das sollte für Tessa kein Problem sein, denn ihre schrille Stimme könnte mit Sicherheit einen ganzen Friedhof aufwecken. Tessas Gesicht nahm einen sehr merkwürdigen Ausdruck an, sodass Phoebe hoffte, sie hatte nicht laut gedacht.
»Zieh dir etwas über, und komm in meinen Salon. Sofort«, sagte Tessa angespannt.
Oje. Sie musste in Ungnade gefallen sein. Irgendwie hatte Tessa von ihrer Begegnung mit Marbrook in der vergangenen Nacht erfahren. Aber von wem? Phoebe nahm sich vor, sich mit keiner
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