Brennende Sehnsucht
treuer Ehemann sein?«
Calder sah ihn von der Seite an. »Ich war auch Melinda
ein treuer Ehemann. Sie war mir nicht treu. Aber Miss Millbury ist noch nicht lange genug in der Stadt, als dass sie irgendeine enge Verbindung eingegangen sein könnte, und ich habe vor, dafür zu sorgen, dass sie keine Gelegenheit dazu erhält.«
»Du meinst, du willst den Vogel schnell in den Käfig sperren.« Rafes Herz wurde ihm schwer. »Damit er keine Gelegenheit zum Fliegen hat.«
»Selbstverständlich. Das ist sehr viel effizienter. Sie wird nicht vermissen, was sie niemals hatte.«
Darauf würde ich keinen einzigen Farthing verwetten, Bruderherz. Man kann sehr wohl etwas vermissen, was einem niemals gehörte.
»Ihre Cousinen kommen auch. Sehr anständige und züchtige junge Damen, die beiden.«
In anderen Worten: Halt dich von den jungen Damen fern. Rafe stieß ein kurzes, bellendes Lachen aus. »Oh, da bin ich mir sicher. Wir sehen uns.«
Er schlug mit der Hand auf die Türklinke und verließ die Kutsche. Besser, er lief den Rest des Weges. Als er den Verschlag schloss und sich abwandte, vernahm er etwas, von dem er gedacht hatte, es niemals in seinem Leben zu hören.
Calder summte vor sich hin, ein wenig unbeholfen und schräg, aber er summte. Rafe konnte guten Gewissens sagen, dass er seinen Bruder niemals zuvor so glücklich erlebt hatte.
Wie passend, dass es ihm dabei so schlecht ging.
Zehntes Kapitel
K urz nachdem Brookhaven sich verabschiedet hatte, betrat ein anderer Herr das Haus in der Primrose Street – ein gewisser Mr Stickley von der Kanzlei Stickley & Wolfe, den Treuhändern des Pickering-Vermögens.
»Nun, also...« Der dürre Herr ließ unsicher den Blick in die Runde schweifen, als sie im selben Salon, in dem sie auch Brookhaven empfangen hatten, im Halbkreis um ihn herumsaßen. Mr Stickley nahm entschieden weniger Platz ein als ihr vorheriger Besucher. »Lady Tessa, seid Ihr wirklich sicher, dass der Vikar nicht abkömmlich ist?«
In Tessas Lächeln steckten Giftpfeile. »Der Vikar ist mit dem Marquis bereits nach Brook House aufgebrochen. Die Angelegenheiten aller Pickering-Erbinnen liegen in meiner Hand.«
Der Mann kniff die Augen zusammen. »Trotzdem...« Tessas Lächeln löste sich in Luft auf. Mr Stickley trommelte mit den Fingern auf seiner Aktenmappe herum, als ziehe er in Betracht, doch noch auf ein männliches Familienmitglied zu warten. Phoebe bewunderte seinen Mut, doch dann erkannte sie, dass er wahrscheinlich einfach zu kurzsichtig war, um die Gefahr zu erkennen, in der er schwebte.
»Sir, ich fürchte, wir müssen die Angelegenheit endlich hinter uns bringen. Wisst Ihr, Miss Millbury hat heute Nachmittag noch einen Termin mit Lementeur höchstpersönlich. Und unsere Maße«, sie machte eine ausladende Geste, die sie selbst und die beiden anderen Mädchen einschloss,
»werden ebenfalls genommen, da Miss Millbury darauf bestand.«
Phoebe starrte Tessa an. Die Frau war einfach unglaublich. »Habe ich das?«
In Tessas Augen funkelte Gefahr. »Ja.«
Phoebe lächelte. Mit einem Mal kam ihr Tessa winzig vor, ja geradezu unwirklich. Lady Tessa war schließlich ein Nichts im Vergleich zur Herzogin von Brookmoor. Und bei genauer Betrachtung auch bereits im Vergleich zur Marquise von Brookhaven.
Phoebe verzog das Gesicht. Sie neigte ein wenig den Kopf. »Es ist mir eine Ehre, Euch alle zu bitten, mich heute Nachmittag zu Lementeur zu begleiten, damit unsere Maße genommen werden.«
In Deirdres Augen blitzte so etwas wie unterdrückter Respekt auf, aber Sophie zuckte nur die Achseln. »Meinst du, es wird lange dauern?«
Mr Stickley runzelte die Stirn, denn ganz offensichtlich legte er keinen Wert auf solche Nichtigkeiten. »Ich nehme an, wir sollten dann anfangen, obschon ich ins Protokoll aufnehmen werde, dass ich auf die Anwesenheit des Vikars zu warten wünschte.««
»Das könnt Ihr aufnehmen, wohin Ihr wollt, Mr Stickley«, sagte Tessa mit unverhohlener Ungeduld. »Solange Ihr jetzt endlich anfangt.«
»Wie die Damen sicherlich bereits wissen, beläuft sich das Pickering-Vermögen derzeit auf siebenundzwanzigtausend Pfund.«
Irgendjemand schnappte geräuschvoll nach Luft. Phoebe bemerkte, dass sie selbst es gewesen war. Die anderen schienen weniger überrascht, auch wenn Sophie ihr ein wenig verwirrt vorkam, als wäre diese ungeheuerliche Summe für sie zu schwierig zu begreifen.
Mr Stickley wandte sich an Phoebe. »Seid Ihr die junge Dame, die mit dem Marquis verlobt
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