Brennende Sehnsucht
»Beim Hintern der süßen Charlotte! Willst du mich umbringen?«
»Ich wollte nicht... ich... wer ist Charlotte?«
»Phoebe?« Er nahm die Hand von den Augen und blinzelte. Verschwommene Schatten huschten noch in seinem Blickfeld herum, aber er konnte sie vor sich stehen sehen, in einem Nachthemd und einem halb geöffneten Morgenrock, wie sie ihre brennende Kerze aus einem Mehlbecher fischte.
Im Schein der Kerze schaute sie ihn wütend an und versuchte, den Knoten im Gürtel ihres Morgenrockes zu lösen, um ihn enger um sich zu ziehen. »Du lieber Himmel, Mylord! Ihr habt mich zu Tode erschreckt.«
»Ich? Ich glaube, ich habe mindestens zehn Jahre meines Lebens verloren. Ich hatte noch viel vor, solltet Ihr wissen.«
Ihre Stimmung schlug schlagartig um. Grübchen zeigten sich in ihren Wangen. »Was denn? Etwa Gutes tun?«
Er schnaubte. »Genau. Es gibt jede Menge Wohltätigkeitsvereine, die sich um betrogene Mätressen kümmern. Ich spende regelmäßig.«
Bei der Erinnerung schwand ihr Humor. Sie zog eine Braue hoch. »Das glaube ich Euch aufs Wort. Männer wie Ihr wissen einfach nicht, wann sie genug gegeben haben.«
Sie würde ihn nicht so leicht von der Angel lassen. »Was wisst Ihr schon von Männern wie mir?«
»Genug.« Sie versuchte, durchtrieben auszusehen, doch mit ihrem verwuschelten Haar und dem rebellischen Morgenrock gelang es ihr nur, hinreißend auszusehen. »Seid gewiss, dass es Lebemänner und Schurken nicht nur in London gibt.«
Er grinste, war absurd froh darüber, einfach nur in ihrer Nähe zu sein. »Oh, dann züchtet Ihr wohl selbst welche da oben?«
Sie gab die Fummelei an dem Knoten auf und verschränkte die Arme über ihrem entblößten Nachthemd. »Ich glaube, wir importieren hauptsächlich, Mylord«, sagte sie sauertöpfisch.
Sein Lächeln erstarb. »Ihr scherzt nicht, nicht wahr? Was ist Euch in Thornton passiert? Wann seid Ihr Lebemännern und Schurken begegnet?«
Etwas huschte für einen Augenblick über ihre Miene, und er glaubte schon, sie wollte darüber sprechen. Dann war der Moment vorüber, und sie schaute ihn nur noch abwägend an. »Wart Ihr auf der Suche nach etwas zu essen?«
»Schinken. Oder Braten. Oder...« Schenkel. Aber so wie sie nicht über Lilah sprachen, so würden sie sich auch große Mühe geben, nicht darüber zu sprechen, wie er sie im Regal gefunden hatte, wo sie sich zusammengekauert und mit hochgerutschtem Nachthemd vor dem unbekannten Eindringling versteckt hatte.
Er konnte eine gute Ausflucht respektieren, aber er meinte, er müsste irgendwie seiner Rolle gerecht werden. »Ihr solltet nicht allein im Haus herumgeistern. Ihr kennt es noch nicht gut genug.«
Sie reckte das Kinn. »Es ist mein Haus – oder wird es zumindest in zwei Wochen sein. Ich glaube, es ist mein gutes Recht, die Vorratskammer zu plündern, wenn mir danach ist.«
Ihr Haus. Die Zukünftige seines Bruders. »Ja, danke, dass Ihr mich daran erinnert habt. Schon bald wird es hier jede Menge lustige, kleine Calders geben, die uns alle nachts wachhalten.«
Sie stellte ein Tablett mit aufgeschnittenem Braten auf den Tisch in der Mitte des Raumes. »Käse?«
Geistesabwesend holte er für sie eine Käsekugel von einem höheren Regal. »Habt Ihr gehört, was ich gesagt habe?«
Sie summte leise vor sich hin, während sie einen halben Brotlaib aus dem Regal zog, in dem sie sich versteckt hatte. Backwaren wurden hier nicht aufbewahrt, deshalb hatte sie ihn offenbar mitgebracht. Sie richtete es sich wirklich in Brook House ein.
»Ich habe Euch gehört«, sagte sie. »Ihr unterschätzt meine Zuchtqualität.« Sie warf ihm einen verärgerten Blick zu. »Ein paar der lieben Kleinen könnten kleine Phoebes sein, meint Ihr nicht auch?«
Kleine Phoebes, mit Wuschelköpfen und roten Wangen, die im Haus herumtapsten, immer in Schwierigkeiten, aus denen sie sich mit dem Charme ihrer Grübchen und blauen Augen und langen Wimpern befreiten.
Einen Moment lang war er von der Vorstellung vollkommen gefangen. Dann erinnerte er sich daran, dass nicht er der Vater dieser blauäugigen Schätzchen wäre.
Onkel Rafe. Willkommen an den Feiertagen, aber nicht viel mehr.
Sie fuhr fort, mit geschickten Bewegungen das Essen vorzubereiten. Wenn sie von dem Vorfall vor der Konzerthalle betroffen war, dann war sie zumindest nicht verärgert.
Ich will, dass du dich ärgerst. Nein, ich will, dass du verzweifelt bist. Ich will, dass du um mich kämpfst, dass du um meinetwillen alles hinwirfst, dass du dich
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