Brennende Sehnsucht
»Wirklich?«
»In ganz England gibt es keine schönere Frau«, sagte er voller Ernst. Sollte sie es einmal hören, denn Gott wusste, dass Calder es ihr niemals sagen würde. »Das solltet Ihr nie vergessen.« Er bückte sich, um seinen Hut aufzuheben. »Wenn Ihr mich jetzt bitte entschuldigen wollt. Ich sehe mich gezwungen zu gehen. Die Kutsche wird Euch nach Brook House zurückbringen, wenn Ihr hier fertig seid.«
Mit diesen Worten kehrte er der Braut seines Herzens den Rücken zu, auch wenn es ihn schier in Stücke brach, und schritt eilig davon.
Dreißigstes Kapitel
A m nächsten Tag gelang es Phoebe, Rafe den ganzen Tag lang nicht zu begegnen. So wie die Dinge standen, war es am vernünftigsten, ihn vollkommen zu meiden. Sie nahm das Frühstück in ihrem Zimmer ein, hielt sich den Morgen über in den wenig frequentierten Bereichen des Hauses auf, gab während der Besuchszeit Kopfschmerzen vor und schaffte es bis nach dem Abendessen.
Brookhaven schickte ihr eine offiziöse Nachricht, in der er sie anwies, ihn wissen zu lassen, wenn sie einen Arzt benötigte. Sie antwortete ihm, dass sie lediglich von den Tätigkeiten der letzten Tage erschöpft sei und früh zu Bett zu gehen gedenke.
Tätigkeiten, die um ein Vielfaches anstrengender und atemloser gewesen waren, als Brookhaven jemals erfahren durfte.
Er schickte noch eine Nachricht, in der er sie daran erinnerte, dass sie Karten für die Oper am nächsten Abend hätten. Phoebe wusste, dass sie sich am nächsten Tag nicht wieder verstecken konnte. Brookhaven erwartete von ihr, dass sie die Hochzeit plante und an seinem Arm bereitstand, um Marquise zu spielen.
Es hatte sowieso nicht funktioniert. Es half nichts, Rafe aus dem Weg zu gehen. Er war überall... in den Gesprächen der Dienstboten, in den Porträts an den Wänden, in seinem Hut und seinen Handschuhen auf dem Tischchen in der Eingangshalle, und seine Stimme hallte in den Fluren wider.
Einmal hörte sie ihn kommen, hörte seinen unverkennbaren Schritt am Ende des Flurs. Sie drehte sich um, erwog, in Richtung Vorderseite des Hauses zu fliehen.
Brookhavens tiefe Stimme erklang in der Eingangshalle. Er war gerade zur Tür hereingekommen.
Rafe war hinter ihr, und Brookhaven kam auf sie zu. Sie erwog, sich in die Bibliothek zu flüchten. Verflixt! Der Vikar hatte sich dorthin zurückgezogen. Er würde bemerken, dass sie schwächelte. Sein scharfer Blick verfolgte noch immer jede ihrer Bewegungen.
In diesem Haus gab es einfach viel zu viele Männer!
Auf der anderen Seite des Flurs lud eine andere Tür sie ein. Es war eine Tür für die Dienstboten, hob sich nicht von der Wand ab und war als Teil der Holzvertäfelung getarnt. Phoebe war wie der Blitz durch sie hindurch. Sie zog die Tür sorgfältig hinter sich ins Schloss, dann legte sie ihr Ohr daran. Hatte man sie gesehen?
Schritte auf der langen Galerie im Flur, dann noch mehr von der anderen Seite.
Beide hielten vor dem Wäscheschrank an.
In der Dunkelheit schüttelte Phoebe den Kopf. Natürlich. »Ah, Rafe. Ich bin froh, dass ich dich erwische. Ich wollte schon die ganze Zeit mit dir wegen meiner Verlobten sprechen.«
Oje. Phoebe wusste nicht, ob sie zurückweichen und sich die Ohren zuhalten oder sich noch dichter an die Tür pressen und lauschen sollte.
»Was ist mit Ph- Miss Millbury, Calder?«, fragte Rafe argwöhnisch.
Calder räusperte sich. »Also, mir ist aufgefallen, dass du dazu tendierst, sie anzustarren. Und du scheinst ständig in ihrer Nähe zu sein. Sogar die Dienstboten tuscheln schon darüber.«
Mist! Jemand hatte sie im Vorratskeller gesehen – oder im Salon – oder im Flur...
Oje, wir waren ganz schön beschäftigt.
Sie schlang die Arme fest um ihre fröstelnde Mitte und versuchte trotz des Dröhnens in ihren Ohren etwas zu verstehen.
Skandal. Ehrverlust. Ziel des Klatsches.
Oh nein, bitte nicht.
»Ach ja?« Rafe wurde wütend, das wusste sie.
Calder räusperte sich. »Kein Grund, jetzt den Beleidigten zu spielen. Immerhin hast du dir einen gewissen Ruf erworben. Du kannst schwerlich erwarten, dass ich etwas ignoriere, woran du so eifrig gearbeitet hast.«
»Warum nicht? Du ignorierst doch sonst alles, was mir wichtig ist.«
»Meinst du damit Brookhaven?«
Brookhaven? Phoebe setzte sich. Es ging gar nicht um sie, sondern um die Ländereien?
»Natürlich meine ich Brookhaven!« Rafes Stimme wurde laut. »Du hast keinen meiner Vorschläge beachtet!«
Calder schnaubte. »Also wirklich, Rafe. Du bist ja wohl
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