Brennender Stahl (von Hassel)
Nordatlantik abzuhören. Aber es war auch dort eine ruhige Zeit. Vereinzelt meldeten Boote Erfolge, aber der Atlantik schien leer zu sein. Natürlich kamen in dieser Zeit ständig Geleitzüge durch, aber Deutschland hatte einfach immer noch zu wenig U-Boote. Ein Geleitzug, wenn man ihn denn sah, war gewaltig. Aber in der weiten Wasserfläche des Atlantik war er nur ein Mückenschiss. Es war genauso schwer, einzelne Schiffe zu finden, wie einen ganzen Konvoi. Und so patrouillierten die wenigen Boote im Atlantik während nur hundert Meilen weiter dreißig oder mehr Schiffe unbehelligt den Weg nach England fanden.
Draußen, in einer scheinbar anderen Welt, bewegten sich die Dinge. Aus einer englischen Radiosendung erfuhren sie, dass Finnland und Russland einen Friedensvertrag unterzeichnet hatten, in dem Finnland Teile Kareliens und eine Halbinsel namens Kalastaransaarento an Russland abtrat. Doch es war den Russen nicht gelungen, ganz Finnland zu besetzen, wie es offensichtlich der ursprüngliche Plan gewesen war, dazu hatten sich die Finnen als zu zäh erwiesen. Aber immerhin, wie Oberbootsmann Volkert mit einem Schulterzucken meinte, hatte es ihn eine halben Tag beschäftigt, bis er den Namen der Insel aussprechen konnte.
Ebenfalls aus britischen Radiosendungen erfuhren sie, dass es kleinere Zusammenstöße zwischen deutschen und englischen Überwassereinheiten in der Nordsee und vor Norwegens Küste gegeben hatte. Natürlich berichtete der britische Sender nur darüber, dass sich die englischen Schiffe gut gehalten hatten. Aber auf U-68 maß man dem natürlich wenig Bedeutung bei, denn die Wahrheit würden die Tommies wohl kaum erzählen. Aber trotzdem sah es im Großen und Ganzen so aus, als würde der Krieg den Atem anhalten. Trotz Kriegserklärung schienen die Franzosen im Westen nicht angreifen zu wollen und im Osten hatte das Heer Polen vollständig besetzt. Nun warteten alle. Niemand wusste, worauf, aber alle warteten darauf. Außer zur See fanden keine Kriegshandlungen statt. Manche glaubten, England und Frankreich, die ja ohnehin nur wegen ihrer Sicherheitsgarantien für Polen den Krieg erklärt hatten, würden es sich jetzt vielleicht doch anders überlegen. Andere glaubten, der wahre Sturm würde erst noch losbrechen. Aber niemand wusste etwas und so blieb alles auf Vermutungen beschränkt. Doch mit einer ganz knappen Mehrheit glaubte man, es würde erst noch richtig losgehen.
Zur Gruppe derer, die an den kommenden Sturm glaubten, gehörten der Kommandant und bis zu einem gewissen Grad auch der IIWO, Rudi Schneider. Sein Vater hatte den letzten Krieg miterlebt und es immerhin selbst bis zum U-Bootkommandanten gebracht. U-Boote lagen also gewissermaßen in der Familie. Die Bemerkungen des Kommandanten hatten ihn nachdenklich gemacht. Natürlich sprachen alle darüber, dass man Frankreich und auch England besiegen könnte, und im Augenblick sah es ja auch so aus, als würde den deutschen Streitkräften einfach alles gelingen. Aber andererseits ... England war eine Insel und wie jeder Seeoffizier so wusste auch Rudi Schneider, der Krieg war erst gewonnen, wenn die eigene Fahne auf den feindlichen Zinnen wehte.
Nur waren die Engländer zäh, furchtbar zäh. Genauso wie die Deutschen. Schon im letzten Krieg hatten beide Seiten das gezeigt. Und sollte aus dem Sitzkrieg ein richtiger Krieg werden, dann würde der noch viel schrecklicher werden, als der letzte. Schneider brauchte sich nur in diesem Boot umzusehen. Es stank, es sah aus wie eine Höhle und seine Bewohner verwandelten sich auch zusehends zurück in Höhlenmenschen, aber es war eine Waffe, wie es sie im letzten Krieg so noch nicht gegeben hatte. Genauso wie große Bomber, schwere Panzer und viele andere Waffen. Die Kunst, sich gegenseitig umzubringen, war weiterentwickelt worden, ohne Frage. Nur wenn der junge IIWO an seinen Vater dachte, an die Kameraden vom alten Boot und an andere, dann fragte er sich, ob so ein Krieg einen Platz für Sieger lassen würde.
Aber natürlich wurde das nicht offen diskutiert. Das war Politik und die war in der Marine ohnehin verpönt, noch mehr als im Rest Deutschlands. In diesen Zeiten noch mehr als früher und schließlich waren die Nazis nicht erst seit Kriegsausbruch, sondern bereits seit sechs Jahren an der Macht. Und natürlich hatte man sich in typisch deutscher Manier schon lange daran gewöhnt, nicht zu reden. Vor allem auf einem U-Boot, in dem es ja nirgendwo einen Platz gab, an dem man unbeobachtet
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