Brennender Stahl (von Hassel)
war. Politik war nie ein Thema für die Deutschen gewesen und würde auch nie eines werden. Vor allem dann nicht, wenn es mit einem gewissen Risiko verbunden war. So zog man lieber in den Krieg, als darüber nachzudenken, ob der Krieg richtig war. Denn Deutsche folgten Befehlen, sie diskutierten sie nicht. Und Rudi Schneider, auch wenn er insgeheim seine Zweifel hatte, wusste das. Er kannte die Deutschen, schließlich war er selber einer.
»I frag' mi wo mer grad san?«, Dörfler sah niemanden gezielt an. Es war einfach nur ein Einwurf. Etwas, das gesagt wurde, um überhaupt was zu sagen.
Braunert hielt damit inne, aus einem verschimmelten Brot die noch brauchbaren Stücke herauszuschnitzen, und sah den Bayern an. Gedehnt meinte er: »In einem U-Boot, alter Bazi!«
»Oh, ...«, der Seemann runzelte die Stirn, »... oh ja!«
Minuten verstrichen. Daniel Berger blätterte geräuschvoll eine Seite um. In einer der oberen Kojen schnarchte jemand ungleichmäßig. Mit Mühe und trotz des nur schwachen Lichts, versuchte der Motorenheizer, sich auf das Buch zu konzentrieren. Er las es bereits zum zweiten Mal. Doch er versuchte trotzdem, jedes einzelne Wort bewusst zu lesen. Er hatte nur dieses eine Buch, es war gewissermaßen sein Schatz. Aber schon ein Buch nahm einen nicht unerheblichen Teil des Platzes ein, der ihm für Privatsachen zur Verfügung stand. Ein zweites hätte bedeutet, auf seinen einzigen dicken Pullover zu verzichten, und der hatte ihm um England herum schon gute Dienste geleistet.
»Achtzehn!«, einer der anderen Männer an der schmalen Back murmelte das erste Gebot einer neuen Skatrunde. Das Reizen nahm seinen Lauf. Wie alles an Bord, so waren auch die Karten längst fettig und schmierig vom Öldunst.
Wieder verstrichen Minuten, dann meinte Dörfler abwesend: »I frag mi, ob mer Afrika seh'n wern.«
Berger blätterte um und blickte über den Rand seines Buches: »Und was willste da sehen?«
»Weiberl'n natürlich! Schwarze Weiberl'n mit solchen Titten!«, Dörfler deutete mit einer Handbewegung ein ziemliches Kaliber an.
»Oh Mann! Frauen!«, Braunert verdrehte die Augen, »Ich weiß schon gar nicht mehr, wie die ausschauen!«
»Scheiße, vergiss es!«, Berger versuchte wieder in seinem Buch zu versinken, aber das Stichwort Frauen ließ keine Ruhe mehr aufkommen. »Wir sind auf einem U-Boot, Mann!«
Dörfler sah ihn aus großen Augen an: »Was mein'st denn damit?«
»U-Boot, mit einem großen U. Wie unbefriedigt!«
Dörfler schnaufte: »Na doll, da ham mas mal wiader! Koane Gerechtigkeit im Leben!«
Jens Lauer steckte den Kopf aus seiner Koje: »Könnt Ihr mal mit dem Geschwätz aufhör'n? Es gibt Leute, die versuchen hier zu pennen!«
Der Bayer drehte sich in Zeitlupe herum: »Ach Gott herjeh, unser Moses.« Er zog die Augen etwas zusammen: »Koane Haare am Sack, aber im Puff vordrängeln! Hast'n überhaupt scho a moal a Frau'n g'habt?«
Lauer lief rot an. Lieber würde er sich die Zunge abbeißen als dem stämmigen Bayern zu sagen, er hatte noch nie etwas mit einer Frau gehabt. Stotternd meinte er: »Na ja, ich hab halt ne Freundin!«
»A Freindin hat'a, der Bua!«, Dörfler grinste gehässig, »Soach a moal, was machst'n mit deren?«
Braunert legte das Messer weg und fixierte Dörfler: »Na ja, nur jemand wie du, der sich ne halbe Stunde einen Blasen läßt und dann fragt, ob er gut war, kommt auf die Idee, ausgerechnet den Moses zu fragen, nich wahr?«
Der bayerische Seemann wandte sich zu Braunert um und sah das kalte Glitzern in dessen Augen. Abwehrend hob er die Hand: »Scho guat, i tu dem Kloanen ja nix!«
Berger schmunzelte hinter seinem Buch und hob dem Kopf: »Na klar, Alois, Du tust niemandem was. Bist halt `nen altes Großmaul!«
»Bah!«, Alois Dörfler sah sich um. Aber sehr viele Freunde hatte er hier nicht, »Was ihr nur immer mit dem Kloanen habt.«
Braunert begann, die etwa faustgroßen Brotbrocken mit Butter und Kunsthonig zu bestreichen. Er ignorierte Dörfler und sah zum jungen Lauer: »Magst auch was, Jens?«
Lauer schwang die Beine aus der Koje und quetschte sich durch zu Braunert an dessen Stammplatz bei den Bugrohren. Das Brot war schimmlig, die Butter fing schon an, ranzig zu werden und der Kunsthonig würde ekelhaft schmecken. Aber wer machte sich darüber schon Gedanken, wenn sowieso alles nach Dieselöl schmeckte? Außerdem hatte er begriffen, dass es gar nicht um ein Brot ging. Der baumlange Braunert wollte ihn nur aus dem Weg haben, falls er
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