Brennendes Land
der Moderatoren, südlich von Canton. Die texanischen Prolos musterten sie neugierig. Oscars Hut war verrutscht und verbarg den Kopfverband nur notdürftig. Kevin war unrasiert und zappelig. Greta hatte die Arme verschränkt, damit man ihre wundgescheuerten Handgelenke nicht sah. Pelicanos sah aus wie ein Bestattungsunternehmer.
»Kommt ihr aus ‘nem anderen Bundesstaat?« fragte der Moderator, ein sommersprossiger halbwüchsiger Weißer mit blauem Plastikhaar, Kopfhörer, acht Halsketten mit Holzperlen, Handy und hirschlederner Fransenjacke. Die Beine steckten von den Knien abwärts in monströsen Eskimostiefeln aus flauschigem Plastik.
»Ja!« antwortete Kevin, begleitet von verschiedenen Geheimzeichen.
Der Moderator beobachtete amüsiert Kevins Verrenkungen. »Schon mal in Texas gewesen?«
»Wir haben vom Flohmarkt in Canton gehört«, versicherte ihm Kevin. »Der ist berühmt.«
»Könnte ich bitte fünf Dollar Parkgebühr haben?« Der Moderator steckte das Plastikgeld ein und pappte ihnen eine Plakette auf die Windschutzscheibe. »Folgt einfach den Piepsern von dem Aufkleber, der führt euch bis zum Parkplatz. Viel Spaß auf dem Markt!«
Sie fuhren langsam in das Städtchen ein. Canton war eine durchschnittliche osttexanische Stadt mit bescheidenen zwei- und dreistöckigen Gebäuden: Lebensmittelläden, Krankenhäuser, Kirchen, Restaurants. Auf den Straßen wimmelte es von seltsam gekleideten Passanten. Die gewaltigen Prolohorden machten einen äußerst gut organisierten Eindruck; sie ignorierten gelassen die Verkehrsampeln, bewegten sich aber grüppchen- und stoßweise, ein Volkstanz der Massen.
Kevin parkte auf einer winterbraunen Weide unter einer weit ausladenden Pinie. Sie stiegen aus. Die Sonne schien, doch es wehte ein unangenehmer Nordwind. Sie schlossen sich einer kleinen Gruppe an und näherten sich dem Rand des Marktes.
Das weitläufige Marktgelände wurde dominiert von den hoch aufragenden, in Zellbauweise errichteten Plastiktürmen. Allerlei zusammengebastelte Fluggeräte summten wie Mückenschwärme umher. Die größten Unterkünfte waren gewaltige polarisierte Zirkuszelte aus eigenartig riechender transparenter Plastikplane, die über hohe Masten gespannt war.
Kevin erstand von einem Deckenverkäufer vier Ohrclips. »Hier, legen Sie die an.«
»Warum?« fragte Greta.
»Vertrauen Sie mir, ich kenne mich an solchen Orten aus.«
Oscar klemmte sich den Clip ans linke Ohrläppchen. Das Gerät gab ein leises, wortloses Gebrabbel von sich, ähnlich dem Geplapper eines Dreijährigen. Solange er sich mit der Menge bewegte, blieb das Geplapper unverändert, eine eigentümlich beruhigende Begleitung, etwa wie der eingebildete Freund eines Kindes. Doch jedesmal, wenn er sich dem allgemeinen Strom entgegenstellte – wenn ihm irgendein Hinweis entgangen war –, wurde die Ohrfessel lästig. Hielt er den Verkehr lange genug auf, brüllte sie ihn an.
Irgendwo überwachte ein Rechner den Fluss der Menschen und kontrollierte sie mit sanften Hinweisen. Nach kurzer Zeit vergaß Oscar das leise Geplapper einfach; er nahm es nur noch unbewusst wahr. Die nonverbale, kindliche Nörgelei war so beharrlich, dass man sich leicht daran gewöhnte. Schon bald wichen sie Menschenansammlungen automatisch aus, noch ehe diese in Sichtweite kamen. Alle trugen Ohrclips, daher verteilte der Rechner die Menschen wie einen Schwarm Schmetterlinge.
Das Marktgelände wimmelte zwar von Menschen, doch die Menge bewegte sich erstaunlich flüssig. Vor den Imbissbuden standen kurze, geordnete Schlangen. Die Toiletten waren nicht blockiert. Es gingen keine Kinder verloren.
»Ich versuche mal jemanden aufzutreiben, mit dem wir ernsthaft reden können«, verkündete Kevin. »Wenn ich ein Treffen arrangiert habe, melde ich mich über Handy.« Er wandte sich um und humpelte davon.
»Ich helfe Ihnen«, sagte Oscar und schloss zu ihm auf.
Kevin wandte sich mit verkniffener Miene um. »Bin ich nun für Ihre Sicherheit verantwortlich oder nicht?«
»Natürlich sind Sie das.«
»Das ist eine Frage der Sicherheit. Wenn Sie mir helfen wollen, passen Sie auf Ihre Freundin auf. Sorgen Sie dafür, dass sie nicht schon wieder verschütt geht.«
Es ärgerte Oscar, dass Kevin ihn zur Persona non grata erklärte. Andererseits hatte er Verständnis für Kevins Vorbehalte – schließlich war Oscar als Einziger unter den vielen tausend Besuchern mit einem teuren Anzug samt passendem Hut und Schuhen bekleidet. Oscar war verdächtig
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