Brennendes Land
den Nacken und musterte sein Gegenüber. Sie scherzte nicht. »Dann kümmern Sie sich um den Mörtel, während ich die Blöcke schleppe. Kommen Sie damit zurecht?«
»Sicher.«
Dr. Penninger machte sich daran, mit der geschwätzigen Kelle das Bindemittel aufzutragen. Die einzelnen Komponenten plapperten munter vor sich hin, während Dr. Penninger schwieg und das Arbeitstempo durch ihre Mithilfe mehr als verdoppelte. Dr. Penninger legte sich richtig ins Zeug. Es war mitten in der Nacht, kein Mensch war unterwegs, es war einsam, windig und knapp über Null Grad, doch die Wissenschaftlerin machte wirklich Ernst. Sie schuftete wie ein Pferd. Wie ein Dämon.
Bei Oscar gewann die Neugier Oberhand. »Weshalb sind Sie um diese Zeit hergekommen?«
Dr. Penninger richtete sich auf, die Kelle in der noppenumschlossenen Hand. »Jetzt habe ich gerade frei. Ich bin immer bis um Mitternacht im Labor.«
»Ich verstehe. Also, ich freue mich über Ihren Besuch. Sie sind eine gute Arbeiterin. Danke für Ihre Hilfe.«
»Keine Ursache.« Sie musterte ihn forschend durch den Scheinwerferkegel hindurch. Hätte er sie attraktiv gefunden, wäre ihm der Blick prickelnd vorgekommen.
»Sie sollten uns mal tagsüber besuchen, wenn die ganze Mannschaft bei der Arbeit ist. Die Koordination der Einzelkomponenten und die Teamarbeit sind der Schlüssel zur verteilten Realisierung. Das Gebäude entsteht an mehreren Stellen zugleich, als ob es kristallisierte. Das ist ein interessanter Anblick.«
Sie führte die beschuhte Hand ans Kinn und musterte die Mauer. »Meinen Sie nicht, jetzt wären bald die Installationen fällig?«
Oscar war überrascht. »Seit wann beobachten Sie mich schon?«
Ihre Schultern hoben sich kurz unter der dicken Jacke. »Das sieht man doch.« Oscar wurde bewusst, dass er sie enttäuscht hatte. Sie hatte mit einer intelligenteren Bemerkung gerechnet.
»Machen wir eine Pause«, sagte er. Oscar war sich bewusst, dass er es mit Greta Penningers phänomenalem IQ nicht aufnehmen konnte. Er hatte sich natürlich über ihren Werdegang kundig gemacht; Dr. Greta Penninger hatte stets bestechende Noten erzielt und als Beste abgeschnitten. Gleichwohl war Intelligenz vielgestaltig. Er war sich ziemlich sicher, sie durch einen Themenwechsel ablenken zu können.
Er trat hinter die unregelmäßige Mauer aus Betonblöcken, wo unter einer aufgespannten Plastikplane in einem alten Fass ein Feuer brannte. Er hatte Rückenschmerzen. Vielleicht hatte er sich zu viel zugemutet.
»Gedörrtes Cajun-Rindfleisch? Die Mannschaft ist ganz wild auf das Zeug.«
»Gern. Warum nicht.«
Oscar reichte ihr einen Streifen höllisch scharf gewürztes Fleisch, grub seine Zähne in einen weiteren schwärzlichen Fleischbrocken. Er schwenkte eine Hand. »Im Moment sieht es hier chaotisch aus, aber stellen Sie sich mal vor, wie es fertig aussehen wird.«
»Ja, das kann ich mir vorstellen… Ich hätte nie gedacht, dass Ihr Hotel so elegant werden würde. Ich hätte einen Fertigbau erwartet.«
»Aber das ist ein Fertigbau. Die Pläne werden bloß vom Rechner an die örtlichen Gegebenheiten angepasst. Daher ist das fertige Gebäude stets ein Original. Aus dem Stapel Träger dort drüben wird in Kürze das Schutzdach vor dem Eingang entstehen…. Der Innenhof kommt hierhin, wo wir gerade stehen, und unmittelbar hinter der Eingangsloggia liegt dann die Pergola…. In den beiden langgestreckten Flügeln werden die Gästezimmer und der Speisesaal untergebracht, im ersten Stock die Bibliothek, verschiedene Balkons und der Wintergarten.« Oscar lächelte. »Ich hoffe doch, Sie werden uns mal besuchen, wenn wir hier fertig sind. Sich ein Zimmer mieten. Ein Weilchen bleiben. Gut essen.«
»Ich glaube, das kann ich mir nicht leisten.« Mit umwölkter, düsterer Miene.
Was in aller Welt hatte die Frau nur vor? Im bläulichen Lichtschein wirkten Dr. Penningers weit auseinanderliegende schokoladebraune Augen unterschiedlich groß… aber das war vielleicht eine optische Täuschung, hervorgerufen durch die eigentümlichen Lichtverhältnisse, ihre ungezupften Brauen und die Spannung, die an ihren Augenlidern abzulesen war. Sie hatte ein großes, kantiges Kinn, eine vorspringende Oberlippe mit einem auffallenden Grübchen, einen langen, sehnigen Hals und machte den Eindruck, als sei sie seit sechs Jahren nicht mehr an der Sonne gewesen. Sie wirkte ausgesprochen eigenwillig, wie eine ausgeprägte Persönlichkeit. Und bei näherem Hinsehen verstärkte sich dieser Eindruck
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