Brennendes Land
ganze moderne System der Wissenschaft ist bloß noch ein Schatten dessen, was es im goldenen Zeitalter einmal war – während des Ersten Kalten Krieges. Aber…« Sie seufzte. »Ich weiß nicht. Persönlich kam ich eigentlich ganz gut zurecht. Anderen ist es viel schlimmer ergangen.«
»Zum Beispiel?«
»Da gab es mal diese Frau, Rita Levi-Montalcini. Weißt du über sie Bescheid?«
»Hilf mir auf die Sprünge.«
»Sie hat ebenfalls den Nobelpreis bekommen. Sie war Jüdin, lebte in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts in Italien. Eine Neuro-Embryologin. Die Faschisten waren hinter ihr her, und sie versteckte sich in einer Dorfhütte. Sie bastelte Sektionswerkzeug aus Draht und experimentierte mit Hühnereiern… Sie hatte kein Geld, sie durfte sich nicht in der Öffentlichkeit blicken lassen, und die Regierung hatte es praktisch auf ihr Leben abgesehen, aber sie brachte trotzdem Ergebnisse zustande, bedeutsame Ergebnisse… Sie überlebte den Krieg und kam mit dem Leben davon. Sie flog nach Amerika, wo man ihr einen wichtigen Laborposten gab, und dort beendete sie ihr Leben mit neunzig Jahren als berühmte Hirnforscherin von Weltformat. Genau darum geht es.«
»Soll ich eine Weile fahren?«
»Tut mir leid, dass ich weinen muss.«
»Schon gut. Fahr rechts ran.«
Sie stiegen in der Dunkelheit aus und wechselten die Plätze. Oscar fuhr los, und die Reifen knirschten über das mit Muschelschalen bestreute Bankett. Es war lange her, dass er selbst am Steuer gesessen hatte. Er fuhr sehr vorsichtig, denn er wollte keinen Unfall bauen. Es wurde allmählich interessant. Der Sex war ein Debakel gewesen, aber Sex war nicht die Hauptsache. Er drang allmählich zu Greta durch. Darauf kam es an.
»Du darfst nicht zulassen, dass man mein Labor zerstört, Oscar. Ich weiß, das Labor wurde seinem Anspruch niemals gerecht, aber es ist etwas Besonderes und sollte nicht zerstört werden.«
»Das sagt sich so leicht. Vielleicht wäre es sogar machbar. Aber wie entschlossen bist du, für deine Ziele zu kämpfen? Wie hoch ist dein Einsatz? Was bist du bereit zu opfern?«
Abermals klingelte ihr Handy. Sie nahm den Anruf entgegen. »Schon wieder dein Freund«, sagte sie. »Er möchte, dass wir in ein Lokal mit Namen Buzzy’s gehen. Er hat für uns Plätze reserviert.«
»Mein Freund ist wirklich ein prima Goldschatz.«
Sie fuhren nach Cameron hinein und fanden das Restaurant. Das Buzzy’s war ein Musiklokal gehobenen Anspruchs mit gutem Touristenpublikum, und es hatte lange geöffnet. Die Musiker spielten ein klassisches Streichquartett. Typische angloamerikanische Ethnomusik. Es war erstaunlich, wie viele Anglos in der boomenden Klassikszene tätig waren. Weiße hatten offenbar ein angeborenes Talent für strenge, lineare Musik, dem die weniger problembehafteten ethnischen Gruppen nur wenig entgegenzusetzen hatten.
Fontenot hatte sie als Mr. und Mrs. Garcia angemeldet. Sie bekamen einen hübschen Tisch zugeteilt, nicht weit von der Küche und in praktischer Nähe zur Bar, wo eine Gruppe texanischer Touristen in Abendkleidung sich inmitten des Messings und der Spiegel um den Verstand soffen. Es gab Stoffservietten, Silberbesteck, eine aufmerksame Bedienung, Speisekarten auf englisch und französisch. Die Atmosphäre war angenehm, und es wurde noch behaglicher, als Fontenot eintraf und an einem Tisch in der Nähe des Eingangs Platz nahm. Es war beruhigend, einen Bodyguard zu haben, der hellwach und nüchtern alle eintretenden Gäste in Augenschein nahm.
»Ich habe Appetit auf Fisch«, verkündete Oscar. »Hummer wäre auch gut. Habe keinen vernünftigen Hummer mehr gegessen, seit ich aus Boston fort bin.«
»Écrevisse«, sagte Greta.
»Was ist das?«
»Oben auf Seite zwei. Eine hiesige Spezialität, solltest du unbedingt mal probieren.«
»Klingt großartig.« Er winkte den Ober heran und gab die Bestellung auf. Greta verlangte Hühnersalat.
Greta wendete den Stiel des Weinglases zwischen den Fingern, in das er Mineralwasser eingeschenkt hatte, um weiterem Gin vorzubeugen. »Oscar, wie soll es weitergehen? Ich meine, mit uns beiden.«
»Ach, unsere Beziehung ist rein technisch betrachtet unmoralisch, aber solange man die Dinge auseinanderhält, macht das nichts. Du nimmst deine Arbeit wieder auf, und ich fahre an die Ostküste. Wenn ich zurückkomme, können wir diskret etwas arrangieren.«
»So macht man das in deinen Kreisen?«
»Wenn es funktioniert… Es wird allgemein akzeptiert. Sagen wir, wie
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