Brennendes Schicksal (German Edition)
Visconte sie an. Seine Blicke ruhten auf ihrem Gesicht, sodass sie verlegen wurde. Noch nie hatte sie jemand so angesehen. Ihr war, als betrachte er nicht nur ihre Züge, sondern sehe sie so, wie sie war. So, wie sie wirklich war. Sie fühlte sich erkannt, und das verunsicherte sie, denn sie wusste doch selbst noch nicht, wer sie sein mochte.
Angelo spürte ihre Verlegenheit. Er nahm ihr das Hemd aus der Hand, zog es über, griff nach dem Wams, zog auch dieses an. Plötzlich wussten sie nicht, was sie sagen sollten. Jetzt waren sie beide wie Kinder vor einer frisch gefallenen Schneelandschaft. Der erste Schritt entschied über alles Weitere. Ein falsches Wort konnte alles zerstören, ein richtiges ein neuer Anfang sein.
Der Visconte räusperte sich. Schließlich entschied er sich zu einer Tat größten Mutes: Er suchte nicht länger nach Worten, sondern sprach aus, wie ihm zu Mute war: »Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, begann er. Unsicher blickte er sie an, erkannte die Erwartung in ihren Augen. Da nahm er ihr Gesicht in beide Hände, schloss die Augen und atmete tief, ganz tief, ihren Duft ein, der ihm schon fast vertraut, aber gleichwohl süß und verlockend erschien. Als seine Lippen die ihren leicht berührten, wunderte er sich über die Weichheit und Wärme, wunderte sich über den Geschmack, der ihm so vertraut war, als kenne er ihn schon immer, und zugleich so neu und fremdartig wie eine exotische Frucht aus dem Garten Eden.
Er fühlte sich dieser jungen Frau so nah, dass er darüber erschrak. Noch nie war er einem anderen Menschen so nah gekommen. Er wollte den Augenblick fest halten, ihn bannen, auf dass er niemals ende.
Er schwelgte in ihrem Duft, badete in ihrem Geschmack, fand Trost in ihrer Sanftheit und Geborgenheit in ihrer Wärme.
»Madonna«, murmelte er, die Lippen noch immer leicht auf ihren, ihr Gesicht in seinen Händen.
Das Knarren der Tür war wie ein Guss aus Kübeln mit Eiswasser. Sie zuckten zusammen, prallten auseinander, als hätte man sie bei etwas Verbotenem ertappt.
»Oh, ich bitte um Vergebung«, hörten sie die Stimme des Bischofs Filieri, der Anstalten machte, gleich wieder zu verschwinden.
»Ihr stört nicht«, sagte Angelo da Matranga rasch. »Kommt herein und berichtet, was Ihr wolltet.«
Um die Lippen des Geistlichen spielte ein Lächeln, das verständnisvoll und neidisch zugleich war. Er setzte sich, sah voller Verlangen auf Laura.
»Sie hat mich eingerenkt«, erklärte der Visconte. »Der Knocheneinrenker ist selbst krank. Laura hat in solchen Dingen Erfahrung.«
»Nicht nur in solchen, scheint mir«, erwiderte der Bischof und leckte sich die Lippen. »Sagt, Visconte, was muss man tun, um sich den Rücken so zu verrenken, dass Lauras Hilfe vonnöten ist?«
Angelo da Matranga überhörte die Worte. »Was wollt Ihr?«, fragte er erneut. Er hatte sich wieder so weit gefasst, dass er in gewohnter Manier um den großen Sitzungstisch schritt und auf dem Stuhl des Bürgermeisters Platz nahm.
Laura aber stand befangen am selben Ort und wusste nicht, was sie tun sollte.
Sie fühlte sich unbehaglich. Also nahm sie ihren Umhang, warf ihn über und sagte: »Es war mir eine Freude, Euch zu Diensten sein zu können.«
Ihre Stimme klang so beherrscht und kühl, so fremd und unbeteiligt, dass Angelo da Matranga sie wie eine Ohrfeige empfand. Hatte er sich getäuscht gerade eben? Hatte nur er die Nähe zwischen ihnen gespürt? War er hereingefallen auf die Liebkosungen dieser Mädchenhände? Hatte er sich bloß etwas eingebildet? Ein Rausch der Gefühle, gültig nur für den Augenblick der Dauer? Er war verwirrt, und in seiner Verwirrung griff er auf die altbewährte Manier zurück, in der Männer seines Standes Mädchen ihres Standes behandelten: Er nickte und wies auf das Goldstück, das am Rande der Tischplatte und in Lauras Höhe lag.
»Ich danke Euch«, erwiderte er und versuchte dabei seiner Stimme dieselbe Kühle und Distanziertheit zu verleihen. »Ihr habt mich geheilt.« Er lachte ein wenig und wandte sich an den Bischof. »Sie hat nicht nur Gold in der Kehle, nein, auch in den Händen hat sie davon mehr als der reichste Goldschmied der Toskana.«
Der Bischof lachte wissend und betrachtete sie ungeniert, sodass sie sich schämte und errötete.
»Nimm deinen Lohn, du hast ihn dir verdient«, sprach der Visconte und wagte es nicht, ihr dabei in die Augen zu sehen.
Doch Laura warf den Kopf in den Nacken. Aus ihren blauen Augen schössen Blitze. Selbst in ihrem
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