Brennendes Wasser
geschlafen und war etwas schwer von Begriff. »Die großen Wasserfälle, von denen der Deutsche erzählt hat?«
Gamay nickte. »Sogar aus dieser Entfernung ist der Anblick schier überwältigend.«
Paul bemühte sich, das Tempo zu erhöhen. Irgendetwas stimmte hier nicht. Das Luftschiff wirkte zu träge. Er sah nach unten und bemerkte ein rotes dreieckiges Objekt, das mit mehreren langen Seilen an der Gondel befestigt war.
»Hallo«, sagte er. »Wir haben Gesellschaft.«
Gamay ließ das Fernglas sinken und folgte Pauls Blick. »Es sieht so ähnlich aus wie ein Rettungsfloß. Gummiwülste mit einem Netz dazwischen. Vermutlich hat man damit Leute und Vorräte auf das Blätterdach hinabgelassen.«
»Das klingt nach einer vernünftigen Erklärung. Wir müssen aufpassen, dass sich das Ding nicht in den Baumkronen ve rfängt.« Er hob den Kopf, um ihren Kurs zu überprüfen. Was er sah, ließ ihn vor Ehrfurcht erschaudern.
Sie näherten sich einer gewaltigen Landzunge, die sich wie eine riesige Stufe aus dem Dschungel erhob. Auf ihr wälzte sich ein breiter Fluss auf den Rand des Plateaus zu und wurde durch Felsformationen in fünf einzelne Wasserfälle aufgeteilt. Jetzt, da das Sonnenlicht sich glitzernd in dem schäumenden Wasser brach, wirkten die Ströme wie Juwelen, die durch die Finger eines Diamantenhändlers rannen. Die Fälle schienen sich wie in Zeitlupe zu bewegen, doch der Anblick trog, wie immer, wenn Wasser aus großer Höhe hinabstürzt. Direkt am Fuß der steilen Klippe befand sich ein See, aus dem die explosive Wucht der vielen tausend Liter Wasser eine dichte Gischtwolke aufsteigen ließ.
»Dagegen sehen die Niagarafälle wie Spielzeuge aus«, sagte Paul.
»All dieses Wasser muss doch irgendwo wieder abfließen.«
Gamay suchte die Ufer des Sees ab. »Paul, da drüben! Ich kann den Fluss sehen. Er entspringt aus dem See. Jetzt müssen wir ihm nur noch folgen.«
»Nur sofern du auch eine Ballontankstelle entdeckst«, sagte Paul mit Blick auf die Propangasanzeige. Der Vorrat war nahezu aufgebraucht. »Wir fallen bald runter.«
»Aber vorwärts kommen wir trotzdem noch. Bring uns so nah wie möglich an den Fluss heran. Wir wassern und benutzen das Floß.«
Paul überlegte, wie eine Wasserung wohl am besten zu bewerkstelligen wäre. Das Gewicht der Gondel würde sie erbarmungslos nach unten ziehen. Ein sofortiger Untergang ließe sich dank der Restluft in der Hülle vielleicht noch vermeiden, aber die unzähligen Quadratmeter Stoff bedeuteten eine zusätzliche Gefahr und könnten die Trouts unter sich begraben. Also sollten Paul und Gamay sich tunlichst schon vor dem Aufprall nicht mehr an Bord befinden und das Floß möglichst unbeschadet retten, denn es stellte vermutlich ihre Fahrkarte in die Freiheit dar.
Paul teilte Gamay seine Überlegungen mit. »Ich meine, wir sollten das Floß vor der Landung losschneiden. Andernfalls könnten wir es verlieren.«
Sie schaute abermals nach unten. Das baumelnde Floß war mit insgesamt neun Nylonseilen befestigt, drei an jeder Ecke.
»In dem Staufach liegt ein Schweizer Armeemesser«, sagte sie.
Paul prüfte mit dem Daumen die Schärfe der Klinge und steckte das Messer in die große Oberschenkeltasche seiner Shorts.
»Du bringst uns nach unten«, sagte er. »Geh so dicht wie möglich über das Wasser. Ich schneide das Floß ab.«
»Danach gehe ich noch tiefer runter, und wir springen über Bord, um eine Runde zu schwimmen«, sagte Gamay.
»Klingt nach einem echten Kinderspiel«, entgegnete Paul grinsend.
Gamay übernahm das Steuer und leitete eine langsame Kehre ein, die sie von den Wasserfällen wegführen würde. Der Sonnenschein ließ in den Gischtschleiern über dem See mehrere Regenbögen entstehen. Gamay hoffte, dies sei ein gutes Zeichen.
Paul kletterte auf den Rahmen der Gondel, woraufhin die gesamte Konstruktion sich unter seinem Gewicht nach rechts neigte. Er schaute hinab zu dem roten Dreieck, das etwa zehn Meter unter ihm schwebte, und arbeitete sich an den Tanks und den Brennern vorbei bis zum hinteren Teil der Gondel vor. Dann sägte er die Leinen durch, an denen die hintere linke Ecke des Floßes aufgehängt war, wechselte die Seite der Gondel und wiederholte das Ganze. Das Floß hüpfte und drehte sich im Wind, denn es war jetzt nur noch an seiner vorderen Ecke mit dem Luftschiff verbunden.
Gamay visierte eine Stelle dicht neben dem Fluss an und ließ das Luftschiff mit kurzen dosierten Gasstößen in einen lang gezogenen, flachen
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