Brennnesselsommer (German Edition)
getan.«
»Sie wird es sich nicht leisten können«, überlegt Mama, und schon wieder haben sie über nichts als Fränzi geredet. Dann besprechen die Eltern noch, wie es sein wird, ein Tierheim direkt nebenan zu haben, und dass ein Lebensmittelmarkt doch auch praktisch gewesen wäre oder ein schöner Neubau. Und ob es wohl Dreck und Gestank geben wird und dass sie ja nicht engstirnig sind und auch tierfreundlich, aber nette, normale Nachbarn, mit denen man sich ab und zu normal unterhalten könnte, hätten auch etwas für sich.
»Wieso?«, ruft Anja. »Mit Fränzi kann man sich doch unterhalten!«
Und das stimmt, man muss nur die Spielregelnkennen.
Spielregeln für Gespräche mit Fränzi
1. Fränzi antwortet nur dann, wenn sie eine gute Antwort hat. Wenn ihr keine einfällt oder sie noch nachdenken muss, kann es ziemlich lange dauern, bis sie etwas sagt. Flitzi ist das egal, aber Erwachsenen macht es etwas aus, schweigend herumzustehen und auf eine Antwort zu warten. Anja findet es auch komisch, aber sie gewöhnt sich allmählich daran.
2. Fränzi sagt alles so, wie es ist. Wenn Hunde getötet werden, sagt sie es. Wenn sie keinen Kaffee möchte, sagt sie es. Wenn jemand ein Stück Petersilie zwischen den Zähnen hat, sagt sie es. Wenn jemand sie stört, sagt sie es auch: »Jetzt geht es gerade gar nicht.« Sie erfindet keine Ausreden, sagt nicht »aber wann anders gern«.
3. Manchmal sagt Fränzi seltsame Dinge. Die erklärt sie zwar, wenn Anja oder Flitzi nachfragt, aber nur ein bisschen. Den Rest müssen sie sich selbst denken. Das kann manchmal ziemlich schwierig sein. Fränzi sagt zum Beispiel Sachen wie: »Man kann sein Leben sehr schnell verpfuschen, aber nur sehr mühsam wieder geradebiegen.« Oder: »Es bleibt immer alles gleich, wenn man sich nicht wehrt.« Oder: »Man soll jeden Tag leben, als wäre es der letzte. Tiere können das am besten.« Anjas und Flitzis Eltern finden, das sind Hippie-Sprüche. Die Kinder wissen nicht, was Hippies sind. Blumenkinder, sagt Papa. Das klingt schön.
Anja weiß erst mal nicht genau, was sie von Fränzi halten soll, und ihre Haare sind wirklich scheußlich. Sie hängen in filzigen Strähnen um ihren Kopf. Weil Anja dünne Haare hat, musste sie sich angewöhnen, sich oft zu bürsten, damit ihr Kopf nicht aussieht wie ein vertrockneter Schnittlauchbund. Deswegen ist sie empfindlich, was Haare angeht. Ein bisschen Mühe muss man sich schon geben, um ein erfreulicher Anblick zu sein, und fettige Filzwürmer auf dem Kopf sind kein erfreulicher Anblick. Das mit der Gnade gefällt Anja aber, und sie ist gespannt, welche Tiere einziehen werden. Allerdings kann sich doch auch ein gnädiger Mensch ab und zu die Haare waschen und Hemden ohne Löcher anziehen. Wenn Anja solche Kleider in der Schule trüge, würden alle denken, sie sei bettelarm. Vielleicht hat Fränzi ja wirklich nicht viel Geld, oder sie gibt es für Draht, Dachziegel und Wandfarbe aus statt für Kleider.
Auf jeden Fall kann sie sehr gute Waffeln backen, das muss man ihr lassen. Schon ganz zu Anfang, als die Zimmer in der Ruine noch voller Schutt waren und unter den Decken Spinnweben so groß wie Badetücher hingen, packte sie ihr Waffeleisen aus, fand in einer der Umzugskisten eine Schüssel für den Teig und backte unverschämt süße Vanillewaffeln.
»Bald kriege ich vielleicht Hühner«, sagte sie, »dann haben wir immer frische Eier und können bergeweise Waffeln machen.«
Anja und Flitzi wischten sich die buttrigen Finger an den Jeans ab. Beiden gefiel es, dass Fränzi ›wir‹ gesagt hatte. Dann mussten sie aufs Klo, aber es war verstopft, und sie hockten sich im zugewachsenen Hof hinter die Büsche. Sie versuchten sich vorzustellen, wie der Gnadenhof später aussehen würde, ohne Unkraut und Müll und mit einem richtigen Klo. Fast hätte Anja sich in eine Brennnessel gesetzt.
Inzwischen ist die Ruine ein richtiges Haus geworden. Fränzi hat fast alles allein geschafft, aber manchmal kamen auch Männer, die genauso zottelig aussahen wie Fränzi, mit ausgefransten Haaren und noch mehr Hunden. Sie kletterten mit ihr auf dem Dach herum, reparierten die Zäune oder spritzten die Wände ab. Sie übernachteten dann in den leeren Zimmern oder in Zelten hinter dem Haus, machten Feuer aus den verschimmelten Brettern, die sie tagsüber in den Hof geworfen hatten, und sangen Lieder. Das hörte sich an wie Urlaub oder Zeltlager, und wie im Urlaub gingen sie sehr spät ins Bett. Anja und Flitzi
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