Brennnesselsommer (German Edition)

Tieren gut geht, oder?«
    Anja und Flitzi starren ihn an. Sie können kaum glauben, was er da sagt. Er hat die Lippen zu einem strahlenden Lächeln nach oben gezogen und nickt eifrig.
    »Mama«, flüstert Flitzi, »ist er etwa gar nicht böse? Heißt das, er lässt Fränzi den Gnadenhof behalten?«
    »Ich weiß auch nicht«, sagt Mama leise, »es hört sich fast so an.«
    »Er lügt«, murmelt Anja, »er sagt doch nicht die Wahrheit, niemals.«
    Während Lönnemeiers Sohn und die drei anderen Reiter absteigen und die Pferde langsam über die Auffahrt zum Tor führen und die Leute zurück in den Garten und auf den Hof strömen, bleiben Anja und Flitzi am Zaun und starren Lönnemeier und Fränzi an. Roland hat inzwischen genug gefilmt und fängt an, seine Ausrüstung einzupacken. Vom Hof klingt wieder Musik herüber, aber Fränzi und Lönnemeier stehen da wie angewachsen. Lönnemeier hat aufgehört zu lächeln, und etwas blasser ist er auch geworden.
    »Und das soll ich Ihnen glauben?«, fragt Fränzi schließlich mit kratziger Stimme.
    »Es wird Ihnen wohl nichts anderes übrig bleiben«, sagt Lönnemeier so heftig, dass Fränzi rasch einen Schritt zurückweicht. Dann dreht er sich um und eilt davon, am Stoppschild vorbei, um die Ecke.
    »Weg ist er«, sagt Flitzi zaghaft. Fränzi starrt ihm noch eine Weile hinterher, als könnte er jeden Moment wieder zurückkommen. Vielleicht hat es ihr auch einfach die Sprache verschlagen.
    »Tja«, sagt sie schließlich und fasst Schoko, die immer noch neben Anja steht und das Unkraut am Zaun anknabbert, kräftig an den Hörnern. »Es wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben, oder?« Und dann atmet sie tief aus. Alle schauen sich an, während vom Garten Saxofonklänge herüberstreichen.
    »Ich verstehe das alles nicht«, sagt Anja leise. »Woher wusste der Sohn von Lönnemeier von den Pferden? Wieso kam er genau im richtigen Moment? Und wieso schenkt er die Pferde dem Gnadenhof?«
    »Ich hab ihm einiges erzählt«, sagt Fränzi. »Er hat mir sogar schon einmal auf dem Dach geholfen. Und die Motorsäge, die ich habe, die ist von ihm.«
    Als Anja noch überlegt, ob sie jetzt alles besser versteht, hebt Schoko plötzlich den Schwanz und lässt eine Ladung Köttel direkt neben Anjas Schuhe prasseln.
    »Gut, dass du nicht deine Tanzschühchen anhast, was?«, sagt Fränzi, und sie fangen an zu lachen. Sie lachen und schubsen sich und werden immer lauter, Flitzi verwickelt sich im Ziegenstrick, Krümel springt um alle herum und kläfft, und Anja sieht, wie Mama und Papa hinten am Schuppen mit Martin anstoßen, der eine große Flasche Most durch die Luft schwenkt und aussieht, als hätte jemand sein Gesicht glatt gebügelt. Daneben hockt Tim. Er wartet, bis Anjas Blick ihn gefunden hat. Dann winkt er ihr zu.
    »Und wo sollen die Pferde jetzt wohnen?«, fragt Flitzi.
    »Uns fällt schon was ein«, sagt Fränzi, packt sie am Nacken und lacht.

 

    © Gesine Bänfer
     
    Annette Pehnt,
    geboren 1967, lebt als freie Autorin mit ihrer Familie in Freiburg. Im Jahr 2001 debütierte sie mit ihrem Erwachsenenroman „Ich muss los«, der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde. »Brennnesselsommer« ist bereits ihr drittes Kinderbuch bei Carlsen.
     

     
    Susanne Göhlich,
    geboren 1972 in Jena, studierte Kunstgeschichte in Leipzig, wo sie auch heutelebt. Seit 2004 arbeitet sie als freie Grafikerin und Illustratorin und hat bisher zahlreiche Kinderbücher gestaltet.