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Brenntage - Roman

Brenntage - Roman

Titel: Brenntage - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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um als Erster ihren Erlebnissen zu lauschen).
    Der Onkel schlief an jenem Morgen tief und fest, und ich lief schon in der Nacht los, um den Tagesanbruch mit dem Mädchen im Wald zu verbringen, doch als ich zu dem Käfig kam, war dieser leer, und nur die Taschenlampe lag am Boden und flackerte ein wenig, und in den Decken sammelte sich kalter Morgentau. Ich wartete, bis die Sonne so richtig hinter den Wolken hervorkam und sich auch die anderen Kinder langsam einfanden, alle waren wir überrascht, undeinige der Burschen suchten den Käfig ab, er war völlig unversehrt und das Schloss und die Knoten immer noch fest angezogen. Wir konnten uns nicht erklären, was passiert war, und einigten uns darauf, nichts davon in der Siedlung zu erzählen, und das mit den Lebendködern ließen wir auch für eine Weile.
    Ich dachte noch oft an das Mädchen, sie hatte damals kurze blonde Haare und trug eine grüne Jacke, sie roch unaufdringlich und war eine von den Stilleren gewesen, wie es sich im Wald gehört. Manchmal träumte ich sogar von ihr und sah ihr zu, wie sie sich zwischen den Gitterstäben hindurchzwängte (was eigentlich unmöglich war) und zur großen Schlucht lief, sie kletterte die Felswand nach unten und schaute nicht zurück, als sie die andere Seite erreichte … Dort endeten meine Träume.
    Eines Tages kam ich zufällig an der Stelle vorbei, an der einst der Waldboden unter mir nachgegeben hatte, ich war gefallen und gefallen und in einem der Stollen aufgewacht … Zum ersten Mal hatte ich damals die Anziehungskraft der Minen gespürt. Sie zogen den Wald an, die Bäume und Wurzeln und das Getier, das dort lebte, und manchmal auch die Menschen, die unachtsam waren und zufällig ihre Wege kreuzten. Ich trat vorsichtig näher, der dunkle Schlund war von Moosen und Flechten überwuchert, das Erdreich vom vielen Regen aufgeweicht, kleine Rinnsale verschwanden in diesem schwarzen Loch und träufelten weiter unten auf blanken Stein. Ich legte mich auf den Bauch und kroch mit den Wurzeln bis zum äußersten Rand, sah nach unten und staunte … Man sah die Skelette einiger kleinerer Säuger, die wohl auf ihren nächtlichen Touren gefallen waren,dichte Spinnweben erinnerten an Hängematten (kaum durchschlagen, wurden sie von fleißigen Spinnenbeinchen geflickt, für mich schon immer die geschicktesten Tiere des Waldes), Moose und Flechten gediehen ebenfalls prächtig.
    Später lief ich dort immer wieder (wie zufällig) vorbei, doch irgendwann war das Loch gänzlich zugewuchert, bestimmt gab es irgendwo gleich in der Nähe einen bequemeren Einstieg in die Minen. Einmal fand eines der Kinder eine Karte auf irgendeinem Speicher, wo angeblich alle Zugänge zu den Minen verzeichnet waren, es war ein unscheinbares Stück Papier mit sehr vielen Kreuzen. Die meisten fanden sich an den Hängen hinter den Eisenbahnschienen und noch mehr in den Bergen, auf den ehemaligen Grundstücken und Korridoren der Minengesellschaften. Alle sahen schnell ein, dass dies eine der
offiziellen
Karten sein musste, die einst in den Arbeiterbaracken aufgelegt worden war, um die Menschen möglichst schnell an die richtigen Orte zu navigieren. Dort nahmen sie die Vorarbeiter und Schichtführer in Empfang, teilten sie ein und schoben sie in die Gänge, immer weiter bis zu den Abbaustätten, wo man Gestein absprengte und bohrte und nur sporadisch versuchte, den Staub im Zaum zu halten.
    Wir suchten damals nach jenen kleinen Kreuzen, die die Ein- oder Ausgänge im Wald markierten, und stellten uns vor, manche Minenarbeiter hätten sie angelegt, um sich mit wertvollen Mineralien aus dem Staub zu machen. Doch kaum glaubten wir, diese gefunden zu haben, mussten wir feststellen, dass diese Gänge zumeist verschüttet waren oder niemals existiert hatten, vielleicht hatte auch nur irgendweraus purer Bosheit die Karten verfälscht, um späteren Generationen ein Schnippchen zu schlagen (verdammter Hurenbock!). Wir stocherten mit langen Ästen im Boden, immer auf der Suche nach Rissen und Spalten, wir fluchten und lachten dabei, wo wir doch in der Siedlung nie ein böses Wort in den Mund nahmen und nunmehr unsere Freiheit genossen … Selbst die schlimmsten und übermütigsten Kinder hielten sich zu Hause zumeist an die Regeln. Im Wald jedoch waren wir unter uns, und wenn sich die Mädchen entfernten, legten wir erst richtig los und belegten einander mit allerlei Ausdrücken und Flüchen, die zu wiederholen mir wirklich schwerfällt. Ein einziges dieser Worte hätte

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