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Brenntage - Roman

Brenntage - Roman

Titel: Brenntage - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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schämst.
    Mir war natürlich klar, ich selbst war lediglich ein unscheinbares Teilchen im Strudel der Zeit, und der Onkel wiederum ähnelte einem alten Baum oder Fels, der (es lag in seiner Natur) einfach in anderen Dimensionen dachte. Wenn ich durch den Wald lief und die Stämme und Zweige berührte, spürte ich nichts, und wenn ich meine Hände in Bäche und Brunnen tauchte, fühlte ich nichts, und wenn ich Rehe oderAuerhähne sah, ignorierten sie mich, als hätten sie mit frechen Burschen ganz bewusst nichts am Hut.
Vielleicht ist meine Mutter gar nicht tot,
dachte ich eines Tages, sie hätte doch die Siedlung unbemerkt verlassen können (als die Eisenbahn noch fuhr), und mich hatte sie nur zurückgelassen, um keinen Verdacht auf sich zu lenken. Sie schrieb mir Briefe, voller Zärtlichkeiten und Ermunterungen … mit deren Hilfe ich irgendwann bis zu ihr vordringen wollte.
    Liebling, ich vermisse dich, die Tage vergehen und die Stunden, und ich weiß weder, wer ich damals war und was ich tat, noch, wo ich heute bin. Krank soll ich sein, sagen die Ärzte, aber was wissen die schon. Mein Bruder hat mich hierhergeführt, ich soll hier verweilen und zur Ruhe kommen, die Siedlung ist seine Passion, du weißt ja. Er und seine Frau, sie kümmern sich um mich (und dich), alles wird gut, bald kommt der Frühling, und nichts wird uns je wieder trennen. An die Zeit meiner Schwangerschaft, als du mir im Bauch die ganze Welt auf den Kopf gestellt hast, an deine Geburt, deinen Vater, der nur noch in meinen Fieberträumen zu existieren scheint, erinnere ich mich gut …
    Wie klein du doch warst, als sie behaupteten, du wärst eine Last, ich müsse zuerst auf die Beine kommen, das sei ich mir schuldig, ich müsse erst mal Kräfte sammeln, wo ich doch zu erschöpft war, nicht mehr hier und noch nicht dort. Nicht mehr ich, aber noch nicht du, ja doch, meine Entschlossenheit wächst. Ich will leben und fort von hier … Du wurdest nicht größer, fielst aus dem Bett, viel zu klein warst du, als dass ich dich hätte sehen können. Wie ich mich damals hasste, zu schwach, um den Kopf zu heben, um dir in die Augen zu schauen, mag sein, es lag am Aderlass. Wo ich hingehen werde, ich vermag es dir nicht zu erklären, gar nichts soll übrig bleiben von mir (an diesem verfluchten Ort). Misstraue allem, was du siehst, seiauf der Hut, wir leben in seltsamen Zeiten, die Welt ist im Wandel, und die Glocken läuten das Ende ein. Nichts von dem, was ich zu wissen glaubte, vermag etwas daran zu ändern …
    Ich träumte oft davon, wie sie irgendwo auf mich wartet und täglich aus dem Fenster späht oder zu einer viel befahrenen Straße spaziert (mit einem übergroßen Sonnenhut auf ihrem Kopf), um nach mir Ausschau zu halten. Dass sie vorbeieilenden Männern (in meinem Alter) nachblickt und jedes Mal erschrickt, wenn einer ihren Blick erwidert. Man sieht ihr immer noch an, dass sie einst schön war, sie verdient es, glücklich zu sein, an jedem noch so verfluchten Ort. Vielleicht schrieb sie mir noch mehr Briefe, die niemals die Siedlung erreichten, die einfach irgendwo auf dem Weg hierher verloren gingen, in all dem Wandel, den Wirren und dem Schutt.
Das verlässlichste Transportmittel ist immer noch die Brieftaube
, sagte unlängst der Onkel, doch er meinte das wohl ironisch, und für die Unpässlichkeit der Postbeamten konnte ich ihn wirklich nicht zur Verantwortung ziehen.
    Unlängst fiel mir auf, wie sich einige Erwachsene beim Löschteich trafen (was ganz und gar ungewöhnlich war, denn in der Nähe des Teiches saß niemand gern herum), offensichtlich kamen sie recht überhastet, manche hatten nicht einmal die Zeit gehabt, sich ihre Hemden einzustricken, sie gaben sogar vor, ein paar Tauben zu füttern, doch die unlauteren Absichten waren ihnen anzusehen. Es schien so, als würden sie über irgendetwas abstimmen, und schließlich hoben fast alle die rechte Hand oder nickten entschlossen oder ließen sonst irgendwie ihre Zustimmung erkennen … Einige jauchzten, und manche wagten sogar ein kleines Freudentänzchen. Plötzlich kam wie aus demNichts mein Onkel hinzu, er gestikulierte wild und ungestüm, aus der Ferne sah es beinahe so aus, als würde er ein Orchester dirigieren, links ein Befehl an die Pauken, rechts die Fanfaren hoch, danach die Streicher munter um die Wette. Früher dachte ich tatsächlich,
Landstreicher
wären eigentlich Musikanten, die einst ihre Geigen und Violinen versetzt hatten, um mit diesem Geld irgendwie über die

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