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Brenntage - Roman

Brenntage - Roman

Titel: Brenntage - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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jedoch Grußformeln in der Regel alle paar Wochen … Die meisten vergaßen wir auch wieder, ohne uns je über ihre Herkunft klar geworden zu sein. Einige der Mädchen begrüßten sich manchmal mit den Worten
Na, du Ei
, wofür wir Burschen nur ein müdes Lächeln übrighatten. Die Älteren in der Siedlung reichten einander oft auch nur die Hand oder murmelten ein
Gut
oder
Besser
, was wohl gleich die Antwort auf eine allfällige Frage (Wie geht es dir?) vorwegnehmen sollte. In unserer Siedlung sprachen die Menschen ja nicht mehr viel miteinander, weil schon längst alles gesagt worden war, behauptete mein Onkel, und ich glaubte ihm das sofort.
    Nur wenn die Brenntage gefeiert wurden, kamen viele der alten Geschichten noch einmal zur Sprache … Wie jemand einem anderen die Frau abspenstig gemacht hatte, wie einer der wohlhabenden Nachbarn tot aufgefunden worden war und sein Kopf nur noch an ein paar Fleischfasern gehangen hatte, wie einst Soldaten die Siedlung unter Beschuss nahmenund ihnen ein kleines Mädchen mit ein paar Stofftieren entgegen gelaufen war (angeblich glaubte sie, die Mündungsfeuer seien Sternschnuppen oder sogar der Sonnenaufgang). Erst unlängst hatten sie im Fernsehen davon berichtet, dass sich die Sonne eines Tages ausdehnen und unseren Planeten verbrennen würde, das sei so sicher wie nur irgendwas. Außerdem befände sich tief in der Erde ein glühender Kern, dem Feuerball der Sonne nicht unähnlich, vielleicht hatte ihn jemand dort unten versenkt, damit wir uns allmählich an die bevorstehenden Temperaturen gewöhnten, dachte ich noch erschrocken. Plötzlich schienen auch die Brenntage einen ganz neuen Sinn zu bekommen, sie waren die
Vorbereitung
auf etwas viel Größeres und Unfassbares und Unvermeidliches. Vielleicht hatten sie in den Minen den Abbau nur deshalb eingestellt, weil sie die glühende Hitze um den Verstand gebracht hatte, die Vorkommen (und damit der Fortschritt) wären vielleicht noch gar nicht erschöpft und am Ende gewesen (wie immer behauptet wurde), alles wurde bloß unerreichbar.
    Einmal stritten die Kinder der Siedlung sogar darüber, ob sie nicht den Abbau in den Minen wieder aufnehmen sollten, fast jeder (ganz egal, wie alt er auch war) hatte seine eigene Meinung hierzu. Die einen befürworteten die Arbeit und forderten alle auf, in den Minen nach verborgenen Schätzen zu suchen, nur so kämen wir zu Ruhm und Geld, die Siedlung würde es uns bestimmt danken. Andere fürchteten sich vor den Minen und wollten um keinen Preis einen Fuß in die Stollen setzen, es gäbe dort Geister und Schatten, schwelende Feuer und tote (unterirdische) Flüsse in der Dunkelheit. Manche sprachen von Kinderarbeit und Staub, weitere von sinnloser Schindereiund Grabschändung, kurzum, wir Kinder konnten uns auf kein einhelliges Urteil einigen und vergaßen die verfallenen Gänge allmählich wieder, die meisten von uns jedenfalls.
    Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich nach so einer Sitzung in einen der Stollen kletterte, mich zwischen Geröll und Gestrüpp nach innen zwängte, ich wollte damals ein Weilchen durch die Dunkelheit laufen, um mich zu vergewissern, dass ich immer noch am Leben war. Kaum war ich etwas vorgedrungen, stolperte ich unversehens über zwei am Boden liegende Körper (die wie ich zu Tode erschraken … oh ja, ich war am Leben). Wir brüllten uns an, und die Echos unserer Stimmen verschwanden in den Tiefen der Berge, wo sie immer und immer wieder von den Ecken und Kanten geteilt wurden, bis nur noch ein Hauch davon übrig blieb. Dass man nirgendwo mehr seine Ruhe hätte, schrie der andere Junge (oh ja, einer der älteren Burschen), und das Mädchen (tatsächlich) nannte mich einen frechen Spanner. Dabei war es stockfinster, und ich konnte kaum ihre Silhouetten erkennen, geschweige denn sagen, wer von ihnen das Mädchen war und wie sie hieß und ob sie schon Brüste hatte.
    Der Junge stieß mich schließlich weg und trat nach mir, ich wiederum packte ihn am Bein, riss ihn zu Boden, und wir prügelten wild aufeinander los, bis er irgendwann verwundert den Kürzeren zog, keuchend und stolpernd verschwand, nicht einmal auf das Mädchen wollte er warten. Sie lief ihm ein paar Meter hinterher, blieb dann aber stehen und drehte sich zu mir um, sie kam plötzlich auf mich zu und berührte mich an der Schulter (tausend Nadelstiche),
warte mal,
sagte sie, und dann zerrte sie etwas aus ihren Hosentaschen, sie schüttelte es vor meinem Gesicht, dem Ton nach musste es sich um

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