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Brenntage - Roman

Brenntage - Roman

Titel: Brenntage - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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meines Erachtens genügt, um uns unter rechtschaffenen Menschen in Verlegenheit zu bringen, uns gar den Kopf zu kosten, wir waren mitunter eine verdorbene und grausame Brut.
    Mit der Zeit entwickelten wir unsere eigenen Rituale, da uns die Brenntage zu langweilig wurden, sie waren eine Spielwiese für Erwachsene, die damit für uns verbundenen Möglichkeiten schienen längst ausgeschöpft. Wir erfanden den
Wasserkreis
… eine
Reinigungs- und Traumzeremonie
, bei der wir uns im flachen Wasser der Weiher und Tümpel aufstellten und einander bedeutungsvoll zuzwinkerten. Ein jeder warf zuvor einen bemalten Stein mit seinen Initialen ins Wasser, und der
Tagespriester
tastete mit seinen Händen den Grund ab, bis er einen dieser Kiesel herausfischte. So wurde ein
Träumer
ausgewählt, der fortan im Mittelpunkt des Geschehens stand, ich selbst musste (zu meinem Bedauern) lange Zeit darauf warten, diese Rolle einnehmen zu dürfen.Wir stellten uns in einem Kreis auf, wobei wir darauf achteten, den Träumer möglichst eng einzuschließen, später bugsierten wir ihn in tieferes Wasser und tauchten seinen Kopf unter, immer weiter, selbst wenn er um sich schlug und mit den Beinen nachtrat oder nach Luft schnappte, wir hielten ihn unten, bis er schließlich irgendwann bewusstlos wurde. Dann zogen wir ihn aus dem Wasser und legten ihn auf eine Bahre aus Tannenzweigen, der Tagespriester massierte seine Brust, und eine
Wächterin
beatmete und küsste den Träumer (oder die Träumerin), bis dieser erwachte. Wir verloren (bei allem Übermut) keinen Einzigen, niemand von uns musste dabei sterben.
    Eines Tages wurde ich zum Träumer erkoren, und ich fand mich wieder in einer ganz anderen Welt … Die Bäume und der Wald waren verschwunden, es gab keine Kinder, keine Tiere oder Landschaften, ich konnte nicht einmal sagen, ob ich noch existierte oder nur ein Echo aus einer anderen Zeit war. Ich war an einem Ort ohne Boden, schwebend und fühlend, ich hörte mich atmen und rief nach dem Onkel. Und plötzlich stand sie vor mir, meine Mutter, sie hielt mir die Hand vor den Mund, ich solle aufhören, zu schreien, ich solle mich beruhigen, sie sagte,
alles wird gut.
Und dann sah ich den Onkel kommen, er schob meine Mutter zur Seite und nahm meine Hand, ich erinnere mich gut, er roch streng und sprach wie mein Onkel, doch das Gesicht dieser plötzlich aufgetauchten Gestalt war das eines Fallenstellers. Ein Mensch, der weiß, wie er recht behält, der irgendwo in seinem großen Keller mit Eisen und Schlingen hantiert, damit sie Vorbeikommenden und achtlosen Kindern zum Verhängnis werden. Jemand, der sich die Häute anderer überstreift, um von deren Leben zu zehren, jemand,der Jungtiere schont, bis sie zur richtigen Größe herangewachsen waren, der ihnen alsdann das Genick bricht und sie auf den Rost legt.
    Plötzlich meinte ich, mir in die Zunge gebissen zu haben, deutlich spürte ich das Blut am Gaumen, das jeden nur erdenklichen Hohlraum in mir füllte, und ich öffnete den Mund und spuckte und keuchte, und ein Schwall dunklen Wassers ergoss sich ins Nichts. Dann war ich wach und spürte das Gras um mich herum und sah die verschwommenen Gesichter der anderen Kinder, und über mich gebeugt stand eines der jüngeren Mädchen, ihre Lippen bebten noch ein wenig, und die Hände lagen auf meiner Brust, dort hinterließen sie einen verhaltenen Abdruck an meiner nassen Kleidung. Sie hatte mich beatmet und wiederbelebt, und hätte sie das nicht geschafft, kein anderer hätte es gewagt, mir zu helfen, denn sie war mir
zugelost
, meine Wächterin, mein Engel, und hätte sie keinen Weg gefunden, es hätte keinen gegeben. Was immer wir im Wald auch taten, wir mieden die Minen, so gut es ging, weil wir insgeheim wussten, dort unten könnte uns das Glück endgültig verlassen.
    Manchmal sammelten wir Beeren in den Wäldern, die roten und überreifen Früchte (wir nannten das auch «Klauben», erfuhren jedoch erst viel später, dass «Klauber» üblicherweise Kohle sortieren), wir hoben eine Grube aus und füllten sie bis zum Rand, es dauerte eine Weile, bis wir genug davon beisammenhatten. Wir zogen uns aus und wälzten uns in den Beeren, mir fiel zum ersten Mal auf, die Körper der jüngeren Mädchen waren von denen der jüngeren Burschen kaum zu unterscheiden. Die Älteren(ich und ein paar andere) behielten ihre Unterwäsche an, wir bekamen sie allerdings nie wieder richtig sauber. Wir wuschen sie später im Bach und in allerlei dunklen Tümpeln, zu

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