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Brenntage - Roman

Brenntage - Roman

Titel: Brenntage - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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es gar nicht glauben) nunmehr so manch schlecht verheilte Narbe zierte, in dicken Wülsten zogen sich diese über seine Handrücken, wenn man sie berührte, dachte man unwillkürlich an verpuppte Raupen. Wenn ich unser Haus mal genauer unter die Lupe nahm, konnte er damals nicht allzu viel
zur Seite
geschafft haben, jemanden um die Ecke, das vielleicht schon.
    In den Minen roch es nach Verwesung und Moder, oft genug auch nach Schweiß und Rasierwasser, die meisten Männer rasierten sich morgens, da sich sonst zu viele Staub- und Steinpartikel in ihren Bärten festgesetzt hätten. Einige Drahtige waren abgestellt, Luftschächte zu graben (diesen Vorgang nannte man «Abteufen»), Frischluft und deren Zufuhr war (in Anbetracht der riesigen Minenanlagen) oberstes Gebot; man sprach auch von der «Bewetterung», wo es doch galt, tief in den Minen für ein gutes Wetter (also Luft) zu sorgen. Sie gruben sich wie die Maden durch Fels und Geröll, die Gänge waren kaum breiter alseinen halben Meter und wiesen steil nach oben,
wir nannten sie Himmelsstürmer
, sagte der Onkel, weil sie sich (nach Möglichkeit) auf direktem Weg zum Himmel durchzuwühlen hatten, schließlich erreichten sie die Erdoberfläche und wähnten sich dort im Paradies. Es kam vor, dass manche von ihnen in den engen Gängen, in denen sie sich nur kriechend fortbewegen konnten, stecken blieben, eine ganze Weile hörte man dann die Echos ihrer Schreie, doch kaum einer wollte sein eigenes Leben riskieren und sich bis zu ihnen vorarbeiten.
Sie waren auf sich allein gestellt, wurden allerdings ganz ordentlich bezahlt,
sagte der Onkel.
    Einige von ihnen stießen sogar auf verborgene Goldadern (was sie für sich behielten), sie verbreiterten unauffällig ihre Gänge, stützten diese ab (was irgendwann dann doch auffallen sollte) und versuchten, möglichst viel Edelmetall zur Seite zu schaffen. Kam man ihnen auf die Schliche, wurde tief unten in der Mine feuchtes Holz entzündet, man warf es in ihre Gänge, und der beißende Rauch bahnte sich unerbittlich seinen Weg, erstickte alles und jeden, der sich ihm in den Weg stellte.
Räucherlinge
nannte man die in den Luftschächten verwesenden Leichen, es war aber für die übrigen Minenarbeiter kein Problem, denn der Gestank zog (den Gesetzen der Physik folgend) nach oben ab.
Ins Paradies,
lachte der Onkel.
Die Unglücksraben kamen dort wohl mit Taschen voller Gold an,
fügte er hinzu,
doch hatte dieses im Jenseits möglicherweise keinerlei Bedeutung, bestimmt fluchten sie und stanken nach Rauch, ganze Ewigkeiten.
    Wenn es sich zu lohnen schien, bohrten die Minengesellschaften ihre Luftschächte an, um an das verborgene Gold zu kommen, mitunter fanden sie auch noch Leichenteilebesagter Räucherlinge in der Nähe der Goldadern, sie wurden mit dem Geröll oder Goldbruch in Grubenhunden (so nannte ich die verbeulten Wägen) nach oben gezogen, auf Steinhalden geworfen und von den Raben in alle Winde verstreut.
Die schwärzesten Raben der Welt harrten in der Nähe unserer Minen aus, um an ihr Fleisch zu kommen,
sagte der Onkel, und er meinte damit ihr Gefieder, das angeblich nach Rauch roch und manchmal sogar glimmte.
Solche Raben gibt es heute gar nicht mehr,
merkte er an, und ich dachte lange Zeit darüber nach, wohin sie wohl geflogen waren, als es mit den Minen (langsam, jedoch stetig) bergab ging und ihre Festmahle ein jähes Ende fanden. Vielleicht schwärmten sie irgendwo hinter der großen Schlucht zu Tausenden aus, um sich neue Jagdgründe zu erschließen, wiewohl von «Jagdverhalten» keine Rede sein konnte, wo doch verwesende (und wehrlose!) Leichenteile immer eine leichte und gefällige Beute darstellten.
    Ein, zwei Mal sah ich sogar Rehe, die das Fleisch fraßen,
sagte der Onkel, die Winter waren streng, und oft genug starben mancherorts ganze Waldstücke ab, weil ihnen das Rotwild die Stämme abnagte.
Manche Hirsche hatten oft so viele Holzspäne in den Mägen, dass ihr Fleisch nach den unterschiedlichsten Baumsorten schmeckte … Buchen und Fichten oder Kiefern,
sagte der Onkel. Nur in der Nähe der Minen blieben die Bäume zumeist unberührt, dort entdeckten viele Tiere ganz neue Nahrungsquellen für sich … Den Müll aus den Arbeiterlagern, die Abfälle der Garküchen und das verwesende und überall sich ausbreitende Aas.
    Es gab Jäger, die von den Verwaltern angeworben wurden, die Stoßtrupps der wuchernden Industrie mit Frischfleischzu versorgen, sie schossen nahezu alles ab, was sich irgendwie

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