Brenntage - Roman
verwerten ließ, allen voran das Rotwild, die Rehe und Hirsche und sogar Hasen, die zu Tausenden über den offenen Feuern der Minen brutzelten. Die Arbeiter aßen sie gierig, kaum einer dachte daran, dass die verhassten Räucherlinge auch ein Teil des Wildbrets geworden waren, sie wanderten durch die Mägen der Rehe und Raben (selbst diese aß man als
Geflügelverschnitt
), wurden in Fett und Muskelfasern eingelagert und kehrten (gewissermaßen ein Kreislauf!) in die Minen zurück, in die Gedärme der Arbeiter und ihre schwarzen Seelen.
Ich selbst war eine ganze Weile einer dieser Jäger, bevor ich mein Glück in den Minen suchte,
sagte der Onkel. Als die Wälder nach und nach leerer wurden, musste ein
Waidmann
tagelange Märsche auf sich nehmen, um auf entlegensten Lichtungen sein
Soll
zu erfüllen. Man zersägte in aller gebotenen Eile einen ganzen Hirsch, verstaute die riesigen Fleischbrocken in den Bäumen (wegen des
Wildfraßes
) und schleifte und schleppte, so viel man nur konnte, zu den Minen zurück.
Einmal kehrte ich zu einem der Bäume zurück, das Fleisch war von einem Sturm aus den Ästen gefegt worden und lag überall am Waldboden verstreut, ganze Rotten von Keilern fielen gerade darüber her und labten sich daran, unter ihren Hauern splitterten die morsch gewordenen Knochen wie altes Tannenreisig.
Sie waren in einen Fressrausch verfallen und bemerkten mein Kommen nicht …
Der Onkel hielt inne und strich sich durch sein silbrig schimmerndes Haar, irgendwo in seinem Rücken sank die Sonne, in den Wipfeln der noch zu erkennenden Bäume wälzte sich feuchter Nebel. Erblickte kurz zu dem aus einer der Küchenecken ragenden Gewehrlauf, rieb sich die Hände und erzählte weiter … Wie er das Gewehr durchlud und sich weitere Patronen zurechtlegte, wie er die Ärmel hochkrempelte und das Messer in seinen Gürtel steckte, wie er vorsichtig Luft holte und wie still die Welt geworden war.
Er tötete Keiler um Keiler, schoss ihnen in Münder und Schnauzen, manche liefen noch weiter, bevor sie zusammenbrachen, wild und ungestüm, allesamt bereit, den eigenen Tod zu leugnen, bevor ihre kleinen Gehirne diesen doch akzeptierten. Ein paar kamen mit ihren Hauern auf ihn zu, und er drängte sie entschlossen zur Seite, einer rammte ihm die Zähne ins Bein (dem Onkel waren die Patronen ausgegangen, das Messer steckte längst in einem anderen Tier), der Keiler zerrte und röchelte, der Onkel nahm ihn keuchend in den Schwitzkasten und brach irgendwann sein Genick. Im Wald roch es nach Blut und Eingeweiden, die Bäuche der Keiler waren bald aufgebrochen, und ihre Schinken und Schwarten hingen von den Bäumen, wie seltsam musste dieser Anblick gewesen sein. Dreißig, vierzig «Schwarzkittel», die von den Ästen baumelten, sie rotierten um ihre Achsen und zuckten, trieften und tropften, Schaum, Urin, allerlei Körpersaft, und überall dieser Geruch aus allen Poren, der einem ausgewachsenen Keiler nun mal anhaftet.
Keine weiteren Schätze fielen aus den Bäumen,
sagte der Onkel,
Borstenvieh jedoch gab es bis zum Abwinken.
Selbst weiter unten (im Tal), entlang den Bahnstrecken, fuhren die Loks (auf Befehl) dann und wann einiges über den Haufen … Wenn die Vorratskeller der Minen leer geräumt waren, mussten sogar die Lokführer ins Jagdhornblasen und das zerfetzte Fleisch in die Kabine schaffen. Sie wurden wie Jäger und Fallensteller bezahlt, so mancher Lokführer besserte sich (freiwillig) sein Gehalt auf und fuhr des Nachts mit speziellen Scheinwerfern durch die Gegend, die das Wild blenden und ins Verderben führen sollten.
Mit den Zügen kamen neue Arbeiter in die Minen, Köchinnen und Servierkräfte für die Kantinen, Huren und Spieler für den abendlichen Müßiggang, es war ein Kommen und Gehen.
In den Minen fiel oft genug der Strom aus, sagte der
Onkel,
einfach weg, und das Wunder der Elektrizität war Geschichte … Die Huren trugen sogar kleine Kerzen vor sich her, damit man ihre Gesichter erkennen konnte, kaum einer wollte schließlich die Katze im Sack. Wir bekamen Fackeln in die Hand gedrückt, einige wenige gönnten sich teure Taschenlampen, doch gaben diese in den feuchten Gängen ohnehin schnell ihren Geist auf.
Die grob behauenen Wände, der schlüpfrige Boden, ich konnte es mir ganz gut vorstellen, in manchen Stollen stand den Bergleuten das Wasser bis zu den Waden, sie husteten und schwitzten, wischten sich stetig die Stirn, ab und an schlug einer (wenn ihm danach war) ein grimmiges Kreuzzeichen.
Die
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