Brenntage - Roman
Runden zu kommen.
Als ich am Abend vom Onkel wissen wollte, worum es bei dem Gespräch gegangen war, meinte er unwirsch …
nicht jetzt!
Nach einer Weile erzählte er mir, es gäbe ein paar Leute in unserer Mitte, die wollten die Siedlung doch tatsächlich verlassen, um anderswo ein neues (und besseres) Leben zu beginnen. Dass dies aber lächerlich sei, behauptete der Onkel, weil wir nirgendwo willkommen wären, geschweige denn einen sicheren Weg dorthin wüssten.
Ich konnte mir keinen Reim darauf machen, wohin wir hätten gehen sollen, und es war sowieso keiner in der Lage, die große Schlucht oder die fernen Berge zu queren … zwar waren die Ebenen voller Orte (die ich gar nicht alle kannte), doch wusste selbst ich, die konnten damit nicht gemeint sein.
Leute, die einen im Stich lassen, sind es nicht wert, dass man sich um sie sorgt,
sagte der Onkel, und es war ihm bitterernst, denn er ging danach gleich ins Bett und wechselte ein paar Tage lang kein einziges Wort mehr mit mir. Ich dachte ernsthaft darüber nach, ob es eine gute Idee wäre, die Stimme meines Onkels heimlich aufzuzeichnen (es gab im Haus einen alten Kassettenrekorder), damit ich sie irgendwann (beliebig oft) abspielen konnte, sei es auch nur, um mich an mein früheres Leben zu erinnern.
Es gab tatsächlich vieles, was ich niemals vergessen wollte … So hatten wir Kinder uns eines Tages an einer Schneise im Wald aufgestellt und einstimmig beschlossen, uns nicht mehr vom Fleck zu rühren, bis wir mit den Bäumen und Geistern eins geworden wären (wir versprachen uns damals viel davon). Allerdings hielten wir nur ein paar Stunden durch, weil einige dringend auf die Toilette mussten (im Stehen zu pinkeln, kam für die Mädchen nicht infrage), an eine Fortsetzung dieses
Experiments
war danach nicht mehr zu denken. Ich erinnere mich auch noch, wie jemand zu mir sagte, dass etwas gleich gelingen muss, sonst kann man es getrost abhaken.
Die Siedlung besaß sogar eine öffentliche WC-Anlage (gleich in der Nähe des Löschteichs, ein Überbleibsel des Fortschritts), die allerdings zwischen den Geschlechtern keinen Unterschied machte, vielleicht galt genau das damals als
modern.
Ich suchte diese so gut wie nie auf, wo sie doch schmierig und stickig war … Ich hatte dort zudem den Drang, alles abzuwischen und durchzuputzen, weil andere vielleicht meinen könnten, ich sei ein typisches Schwein, das alles verdreckt zurückließ, das nicht einmal hinter sich reinen Tisch machen kann, als wäre das schon zu viel verlangt.
Bestimmt werde ich auch nie einen meiner (angeblichen) Geburtstage vergessen, zu dem mir der Onkel einen alten Wecker schenkte … Das Gehäuse hatte längst Rost angesetzt, doch meinte er noch eifrig, das Uhrwerk sei so gut wie neu.
Er ist ein Überbleibsel aus meiner Zeit in den Minen,
sagte der Onkel, mehr zu sich als zu mir,
das Ticken drang damals durch die Dunkelheit
(unter Tag)
und erinnerte an das Ausbleiben der Zukunft. Dort unten wurden die Stunden zu Jahrenund die Jahre zu Jahrhunderten, und ein ganzes Menschenleben konnte eine Ewigkeit dauern,
sagte er weiter, legte den Wecker in meine Hände und wünschte mir alles Gute.
Ich erinnere mich gut daran, wie ich in jener Nacht nicht einschlafen konnte und den Wecker entnervt unter mein Kopfkissen schob … Später stellte ich ihn im Kasten ab, bald darauf warf ich ihn sogar vor meine Zimmertür, doch es nutzte nichts, das unerbittliche Ticken blieb im Haus gefangen und ich eine ganze Nacht lang wach.
Das Ausbleiben der Zukunft ist wirklich nichts für schwache Nerven,
dachte ich noch, als ich am nächsten Morgen beim Frühstück saß und meinen müden Kopf abstützte.
XII. Wassertreter
Die Minen waren kein Ort für Kindsköpfe,
sagte der Onkel,
einmal kurz nicht aufgepasst, schon ließ sich’s nicht mehr richten
… Im Fernsehen berichteten sie neulich von einem Grubenunglück am anderen Ende der Welt (demnach jenseits der großen Schlucht), als der Onkel unversehens zu erzählen begann.
An manchen Tagen musste ich sie zu Dutzenden aus den Stollen schleppen, Wassereinbruch, Steinschlag, jedwedes Unglück war dort unten vorstellbar, manchmal verschwanden auch nur einfach diejenigen, auf die einer ein Auge geworfen hatte, Fehden und Auseinandersetzungen waren an der Tagesordnung.
Die Messer und Fäuste saßen damals wohl locker, wo doch allerlei Segnungen lockten, man musste sich nur rechtzeitig etwas zur Seite schaffen. Der Onkel besah seine schweren Fäuste, die (ich konnte
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