Bretonische Brandung
verheiratet. Und«, Muriel Lefort schaute kurz zu Solenn Nuz, »natürlich Jacques, vor zehn Jahren.«
»Die Nichte von Le Berre-Ryckeboerec?«
Dupin hakte ein.
»Ja. Das war dramatisch. Sie war dabei, Profiseglerin zu werden. Ich habe sie ausgebildet. Ein schlimmer Verlust. Sie wurde nie gefunden.«
»Nie?«
»Nie.«
»Wie ist der Direktor damit zurechtgekommen?«
»Sie war die Tochter seines älteren Bruders, ich glaube nicht, dass sie sich sehr nahestanden. Er und sein Bruder. Aber das weiß nur er selbst.«
Muriel Lefort war erkennbar um Genauigkeit bemüht.
Dupin wartete, ob sich das Gespräch weiterentwickelte.
Vergebens.
»Ich danke Ihnen allen. Das war ein – interessantes Gespräch.«
Es brachte nichts. Dupin konnte nicht mehr. Und er wollte nicht mehr. Es war jetzt halb zwölf. Und es waren doch vier Gläser Wein geworden. Und von dem, das Riwal ihm dann trotz eines klar ablehnenden Blickes noch eingeschüttet hatte und das nun vor ihm stand, hatte er auch bereits die Hälfte getrunken.
Es würde zudem alles noch lange genug dauern, ehe sie im Bett lägen – irgendwo. Die Unterkunft musste bestimmt noch hergerichtet werden. Und vor allem würden sie jetzt durch den Sturm müssen. Sicher hundert Meter.
Den anderen, auch Riwal und Le Coz, war die Auflösung der Runde offenbar sehr abrupt vorgekommen, sie schienen unschlüssig, was sie tun sollten. Nur Anjela Barrault und Solenn Nuz standen ohne Zögern auf.
»Ich wünsche allen eine gute Nacht«, sagte Dupin und wandte sich an Madame Lefort.
»Ich danke Ihnen, dass Sie uns Ihr Appartement zur Verfügung stellen.«
»Kein Problem. Das tue ich gern. Vielleicht wird es etwas eng.«
»Das kriegen wir hin.«
Dupin war mitnichten so entspannt, wie seine Antwort klang. Die Vorstellung, mit Riwal und Le Coz womöglich gemeinsam in einem Zimmer schlafen zu müssen, war ihm ein Grauen.
Muriel Lefort versuchte zu lächeln. Dupin schaffte schon den Versuch nicht mehr.
Kommissar Dupin lag im Bett. Genauer gesagt: Er lag auf einem knapp fünfzig Zentimeter breiten Aluminiumklappbett, das er direkt neben die Eingangstür geschoben hatte. Zugedeckt hatte er sich mit zwei großen Strandhandtüchern. Im einzigen richtigen Bett des winzigen Schlafzimmers unter dem Dach schlief Le Coz, »einsatzbereit und bekleidet«, wie er etwas verschämt hervorgehoben hatte, und zudem triefnass. Riwal hatte sich aufs Sofa zurückgezogen, das direkt vor der Panoramafensterfront stand.
Dupin hatte mit seinem Klappbett soweit es ging Abstand zum Sofa gesucht. Groß war die Distanz nicht. Von Geräuschen, die Riwal gegebenenfalls im Schlaf machte, würde er ohnehin nichts hören, weil Regen und Sturm weiterhin mit großer Heftigkeit gegen die Rollladen vor der Scheibe peitschten und auch hier einen infernalischen Lärm verursachten. Dupin hatte es schon als Kind auf Schullandheimaufenthalten in der Nähe von Chartres gehasst, mit anderen in einem Zimmer schlafen zu müssen. Und immer, wenn sie die Familie seines Vaters im Jura besuchten, die in einem winzigen Kaff lebte, hatte er bei seinen Cousins schlafen müssen. Drei Cousins (im Grunde sehr nett), alle älter, und er, auf zwei Betten aufgeteilt. Da hatte er diesen Knacks abbekommen, so viel war sicher.
Dupin hatte immer noch nasse Haare. Auch sein Polohemd war nass, aber er hatte keine Lust, es auszuziehen, es war ihm unangenehm genug, die Hose ausgezogen und zum Trocknen über einen Stuhl gehängt zu haben. Was ihn allerdings richtig sorgenvoll stimmte, war der Zustand seines roten Notizbüchleins. Er war zwar zu müde gewesen, sich das Ausmaß der Wasserschäden genauer anzusehen. Aber es sah nicht gut aus. Noch übler stand es um den Petit Indicateur des Marées , er war vollkommen abgesoffen.
Natürlich waren sie durch und durch nass geworden, sie alle vier wie auch Madame Lefort und Madame Menez, als sie sich aus dem Quatre Vents herausgewagt hatten, um sich die hundert Meter zu den Häusern durchzukämpfen. Es war verrückt gewesen. Sie waren im Gänsemarsch gegangen, einer dicht hinter dem anderen, sodass sie sich bei jedem Schritt berührten. Muriel Lefort war vorausgelaufen, weil sie den Weg am besten kannte. Sie hatten bestimmt fünf Minuten für den kurzen Weg gebraucht. Bereits nach wenigen Sekunden war der Regen von den Böen auch durch den dichtesten Stoff gepresst worden. Und es war nicht bloß Regen gewesen, schon nach ein, zwei Metern hatte Dupin bemerkt, dass das Wasser, das sein Gesicht hinab und
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