Bretonische Brandung
in seinen Mund lief, salzig schmeckte. Die Gischt verteilte sich wie Sprühnebel und mischte sich mit dem Regen. Die Brandung um sie herum musste meterhoch sein. Dupin war froh gewesen, das nicht sehen zu können.
Es war jetzt halb eins, und obgleich Dupin restlos erschöpft war, machte er sich keine Illusionen, bald einschlafen zu können.
Der Tag ging ihm durch den Kopf, er kam ihm vor wie der längste seines Lebens. Vor allem natürlich die Frage, was mit Le Menn passiert war. Und die restlos missglückte Runde eben im Quatre Vents. Einige Male sah er zwischendurch die springenden Delphine, die ihm mittlerweile wie eine unwirkliche Episode vorkamen. Aber ihm war etwas in den Sinn gekommen. Ihm war etwas eingefallen, ein Detail aus dem Gespräch eben, das ihm erst nach und nach bedeutsam vorgekommen war und es zu einem – noch unkonturierten, undeutlichen – Gedanken gebracht hatte. Es war nur eine Idee. Die vollkommen spekulativ war. Aber sie ließ ihm keine Ruhe.
Georges Dupins Gedanken wurden immer verschlungener und unzusammenhängender.
DER DRITTE TAG
Kommissar Dupin griff instinktiv nach seiner Waffe, die er unter das Kopfkissen gelegt hatte. Er versuchte, sich zu orientieren. Es war halbdunkel. Er wusste nicht einmal, wohin er die Pistole richten sollte. Riwal, der in T-Shirt und Unterhose neben ihm stand und jämmerlich verschlafen aussah, sprang mit einem riesigen Satz zur Seite.
»Ich bin’s nur, Chef, ich bin’s. Hallo, Chef, ich bin’s!«, schrie er. Riwal wollte zuallererst – in ureigenem Interesse – sicherstellen, dass Dupin ohne Zweifel realisiert hatte, wo er war und was hier vor sich ging.
»Ist schon gut, Riwal.«
Dupin war zu sich gekommen. Einigermaßen, jedenfalls.
»Ihr Telefon klingelt.«
Bei dem Wort »Telefon« schnellte er hoch. Im nächsten Moment war er hellwach. Er hatte sich bis eben wieder in einem tiefen, hanebüchenen Karibiktraum befunden, und er war froh, sich nicht genau zu erinnern.
Er war erst in den frühen Morgenstunden eingeschlafen, nachdem er sich stundenlang immer verzweifelter hin- und hergewälzt hatte. Fast panisch schaute er auf die Uhr: sieben Minuten nach sieben.
»Das darf nicht wahr sein.«
Er hatte viel früher auf den Beinen sein wollen. Von Le Coz war nichts zu sehen. Die, so war es Dupin vorgekommen, millimeterdünne Matratze über den restlos ausgeleierten Stahlfedern war klamm, genau wie das grotesk dicke Kopfkissen und die beiden quietschgrünen Strandhandtücher, die nicht im Geringsten gewärmt hatten. Das ganze Zimmer war klamm. Das Schlimmste war: Es roch auch so. Sie hatten kein Fenster öffnen können. Es war, ohne Zweifel, eine der erbärmlichsten Nächte seines Lebens gewesen.
Das Handy schrillte immer noch.
»Ja?«
»Monsieur le Commissaire.«
Dupin erkannte Goulchs Stimme.
»Lefort, Konan und Pajot sind in den letzten Wochen wirklich ein paarmal in demselben Gebiet an derselben Stelle gesehen worden. Circa siebenundzwanzig Seemeilen südsüdwestlich der Glénan.«
Goulch klang, für seine Verhältnisse, aufgeregt.
»Ich war eben in den Fischhallen von Concarneau, dort, wo die lokalen Fischer morgens ab fünf ihren Fang hinbringen. Und habe rumgefragt. Nach der Bénéteau. Zwei der Fischer sind sich sicher, sie gesehen zu haben. Es ist ein Gebiet, in dem der Meeresboden plötzlich deutlich abfällt. Die Gran Turismo 49 ist ja doch relativ auffällig.«
Dupin war aufgestanden, was zu erheblichen Schmerzen am ganzen Körper führte.
»Gute Arbeit, Goulch.«
»Das würde die Hypothese der Schatzsuche sehr viel wahrscheinlicher machen.«
»Oder sie waren angeln. Weil es dort irgendwelche Fischschwärme gab.«
Dupin hatte es so dahingesagt.
»Die großen Schwärme sind um diese Jahreszeit näher an der Küste, wo sich das Wasser schon erwärmt hat und sich dadurch mehr Nahrung befindet.«
»Gut. Wie kriegen wir raus, ob dort wirklich etwas auf dem Meeresboden liegt?«
»Ich habe schon ein Spezialschiff mit der entsprechenden Ausrüstung geordert; es bricht gerade auf.«
»Gut. Sehr gut, Goulch.«
»Noch etwas: Die Spurensicherung musste ihre Aktion gestern abbrechen, sie sind mit dem Hubschrauber abgedreht, als klar war, dass der Sturm die Inseln trifft. Sie haben sich heute aber schon auf den Weg gemacht. Sie müssten bereits da sein.«
»Ich – wir hatten keinen Empfang. Wir waren vollkommen von der Welt abgeschnitten.«
»Das kommt auf den Glénan nicht selten vor. Hier auf dem Festland war der Sturm gar
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