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Bretonische Brandung

Bretonische Brandung

Titel: Bretonische Brandung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Luc Bannalec
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Peaks bis elf.«
    Dupin schaute den jungen Polizisten fragend an.
    »Bis zu hundert, hundertzehn Stundenkilometern.«
    »Das ist schon – nennenswert. Aber solche Stürme kommen auch im Sommer vor.«
    Es waren weniger Goulchs immer noch wohlgewählte Worte als die Art und Weise, wie er »nennenswert« intoniert hatte, die Dupin bewusst machte, dass es wirklich ein ernster Sturm gewesen war.
    »Vielleicht sahen sie das Unwetter aufkommen und wollten noch rechtzeitig zurück ans Festland«, Dupin machte sich einige kryptische Notizen, während er sprach, »wir werden sicher bald erfahren, wann sie die Bar verlassen haben. Daran wird sich jemand erinnern.«
    »Was doch merkwürdig ist: Monsieur Lefort zählte zu den besten Seglern Frankreichs, er war auf dem Meer zu Hause und kannte die Glénan hier wie seine Westentasche. Auch die Méaban. Er ist hier aufgewachsen. Auch Monsieur Konan war durchaus erfahren auf dem Meer. Und natürlich war ihnen beiden die Gefahr bei Springtiden bewusst. Ebenso, was Stürme hier auf dem Atlantik bedeuten.«
    Riwal hatte seine Überlegungen ruhig reflektierend eingebracht. Es entstand ein ausgedehntes Schweigen. Er setzte – auf eine ganz Riwal-typische Weise – nach.
    »Der Atlantik ist ein echtes Meer.«
    Riwal konnte hochanalytisch sein, präzise, insbesondere sehr praktisch und pragmatisch, dann plötzlich raunte er dunkel-rätselhafte Sätze. Es hatte schwebend geklungen. Gravitätisch.
    Der Satz vom »echten Meer« war freilich nicht nur ein typischer Riwal-Satz, die Beschwörung des Meeres war gleichsam ein urbretonisches Mantra. Es wurde in den unterschiedlichsten Situationen zitiert, und nur selten verstand Dupin, was es genau bedeutete. Aber stets kam es aus dem »tiefsten Inneren«. Und meinte anscheinend vieles zugleich: Respekt, Furcht, Angst, Urgewalt, Faszination, Liebe. Ein Verhängnis. Und Stolz. Ar mor bras, »das große Meer«, wie das Weltmeer eigentlich hieß, auf Keltisch nämlich, bevor die Griechen es Atlantis thalassa, » Meer des Titanen Atlas«, genannt hatten. Auch bei ihnen war es schon ausdrücklich das »Ende der Welt« gewesen … Und sofort waren die Bretonen mit superlativischen Zahlen zur Stelle: Ein Fünftel der Erde bedeckte ihr Meer (106,2 Millionen Quadratkilometer!), bis fast zehntausend Meter war es tief, mit gigantischen Gebirgsrücken. Das »echte Meer« sollte dabei natürlich vor allem auch den kapitalen Unterschied zum »harmlosen« Mittelmeer markieren, das nach bretonischem Empfinden vollkommen überschätzt wurde und nichts weiter als ein Binnenmeer des Atlantiks war. Und: der Atlantik wuchs. Jedes Jahr um zwei Zentimeter, in fünfzig Jahren um einen Meter, in tausend Jahren – und das war für bretonisches Zeitempfinden immer noch nichts – um zwanzig Meter! Was die Bretonen allerdings ein wenig schmerzte: dass der pazifische Ozean – noch – ein Stück größer war. Doch das wurde durch andere Statistiken sofort wieder wettgemacht. So lag zum Beispiel der durchschnittliche Salzgehalt des Atlantischen Ozeans bei etwa 3,54, im Pazifik dafür nur bei dürftigen 3,45 Prozent. Und war Salz nicht eines der zentralen Elemente des Lebens? Und hatten sie, die Bretonen, deswegen nicht das kostbarste und berühmteste Salz der Welt: das Fleur de Sel, die Blume des Salzes? Es war kein pazifisches Fleur de Sel bekannt.
    »Wir holen nicht selten erfahrene Seeleute aus dem Meer. Zu denken, man kenne und beherrsche alles, ist manchmal die größte Gefahr. Der Atlantik bedeutet totale Willkür. Niemand kann wissen, welche Strömungen in der Verbindung von Sturm und Springtiden entstehen. Von jetzt auf gleich türmen sich Wellenberge von zehn Metern auf, Strömungen von acht, zehn Stundenkilometern entstehen aus dem Nichts – der Atlantik ist ein extremer Ort.«
    Was Goulch hier ausführte, war wahrscheinlich, was das »echte-Meer«-Mantra in diesem Fall gemeint hatte.
    »Vereinzelt erreichen Wellen zwanzig, fünfundzwanzig Meter – und laufen gegen die Richtung des normalen Seegangs, mit schmalen, tiefen Tälern und einem gewaltigen Kamm. Es gibt den ›Kaventsmann‹, die drei ›Schwestern‹, die ›Weiße Wand‹.«
    In Riwals Stimme lag eine Mischung aus Ehrfurcht, tiefem Schauder und Faszination. Es klang sehr poetisch, fand Dupin, auch wenn er einmal kurz prüfend auf das vollkommen glatte Meer der Kammer schauen musste.
    »Wir sollten uns auf das konzentrieren, was jetzt greifbar ist. Schnellstmöglich herausfinden, wer der dritte Mann

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