Bretonische Brandung
Namen des Bootes nicht erkennen.«
Dupins Gesichtsausdruck – wie der aller anderen – veränderte sich schlagartig.
»Sie könnten uns die genaue Stelle zeigen, Monsieur?«
Goulch war sofort ganz bei der Sache.
»Ich habe sie mit meiner Boje markiert. Das Boot liegt direkt an einer kleinen Felsengruppe. Ich war mit meinem Beiboot unterwegs.«
»In welcher Tiefe liegt es?«
»In vielleicht vier, fünf Metern. Man sieht es vom Boot aus.«
Der Taucher begann, das Kopfteil des Neoprenanzuges herunterzustreifen, was anscheinend alles andere als leicht war. Es entstand eine Pause. Dupin blickte zu Kireg Goulch.
»Was denken Sie?«
»Wenn dem so ist, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass wir es mit dem Boot zu tun haben, auf dem sich die drei Männer befunden haben. Dann wären sie nicht weit gekommen, wenn sie von hier aufgebrochen und bei Guiautec gesunken sind.«
Diese ganze Untersuchung, ihr Verlauf, überhaupt der ganze Tag – es war lächerlich. Seltsam verquer. Dupin hatte die Nase gestrichen voll.
»Ich will wissen, was Sache ist. Goulch, nehmen Sie das Boot und fahren Sie mit –«
Dupin wandte sich dem Taucher zu, der sofort verstand.
»Monsieur Tanguy. Kilian Tanguy.«
»Fahren Sie mit Monsieur Tanguy raus und sehen Sie sich das Boot genauestens an. Ich will umgehend und mit hundertprozentiger Sicherheit wissen, ob es das Boot ist, auf dem die drei Männer unterwegs waren. Finden Sie raus, auf wen es gemeldet ist. Wo es herkommt. Dann werden wir auch wissen, wer der dritte Tote ist. Vermutlich ist es sein Boot.«
»Wir brechen sofort auf. Kommen Sie, Monsieur Tanguy.«
Goulch ging bereits Richtung Quai.
»Eine Sache noch: Monsieur Tanguy, Sie sagten, Sie seien gestern an derselben Stelle tauchen gewesen? Bis wann?«
»Bis fünf vielleicht, nicht länger.«
»Und um welche Uhrzeit sind Sie heute an der Stelle gewesen?«
»Ich denke, so gegen halb vier. Mein Boot liegt an einem der Strände von Penfret. Von dort bin ich mit dem Beiboot gefahren.«
»Tauchen Sie hier häufiger?«
»Die ganze Saison. Ich gehöre zum Tauchklub.«
Monsieur Tanguy betrachtete Dupin einen Moment unumwunden.
»Sie sind der Kommissar aus Paris.«
Er hatte es sehr freundlich und anerkennend gesagt. Normalerweise protestierte Dupin in ähnlichen Situationen scharf, wenn auch völlig umsonst. Und diese Situationen gab es zuhauf. Er war nicht der Kommissar aus Paris – er war der Kommissar aus Concarneau. Aber für Bretonen war man entweder schon immer Bretone oder »ganz neu hier«.
»Ja, der bin ich.«
Immerhin war Dupin beeindruckt von der Kombinationsgabe des Tauchers. Durch die Aufklärung des aufsehenerregenden Doppelmordes letztes Jahr im idyllischen Pont-Aven war Kommissar Georges Dupin im Finistère eine echte Berühmtheit geworden. Dennoch, dass man ihn hier draußen kannte, hätte er nicht gedacht.
»Die Leute unten am Quai haben mir gesagt, dass der Kommissar aus Paris auf den Inseln ist. Und da Sie gerade so einen fragenden Ausdruck auf Ihrem Gesicht haben – die ›Saison‹ geht von April bis Anfang November. Der Atlantik muss über vierzehn Grad warm sein, sonst braucht man eine völlig andere Ausrüstung.«
»Das – hilft uns sehr, Monsieur Tanguy. Haben Sie herzlichen Dank. Wir sind dabei, einen – Unfall aufzuklären.«
»Die drei Leichen.«
»Genau.«
Wenn Dupin mit etwas beschäftigt war, passierte es ihm hin und wieder, dass er die Außenwelt vergaß und dann überrascht war, wenn sie wieder auftauchte. Natürlich wusste bereits der ganze Archipel Bescheid, alle, die sich irgendwie in seiner Sphäre bewegten. Mehr noch, Dupin war sich sicher, dass auch die Presse längst Wind davon bekommen hatte und die Nachricht von den drei angeschwemmten Toten am Strand von Le Loc’h bereits groß erschien, wenn man die Startseiten von Ouest France und Télégramme aufrief. Auch über das Radio würde die Meldung schon laufen – das Radio, das hier am Ende der Welt mit seinen zahlreichen Lokalsendern noch eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung von Nachrichten spielte. Eigentlich wunderte ihn, dass noch niemand von der Presse aufgetaucht war. Es würde nicht mehr lange dauern.
»Es ist kaum zu fassen, dass Lucas Lefort in diesen Gewässern Schiffbruch erlitten hat, das ist eine grausame Ironie, er navigierte hier blind.«
Dupin war erneut erstaunt. Aber klar – dass einer der Toten Lucas Lefort war, auch das hatte sich bereits herumgesprochen, die Nachricht war zu spektakulär.
Weitere Kostenlose Bücher