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Bretonische Brandung

Bretonische Brandung

Titel: Bretonische Brandung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Luc Bannalec
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ist es gar nicht auf den Inseln passiert.«
    »Was meinen Sie?«
    »Möglicherweise ging es um Dinge von außerhalb, die mit den Menschen hier nichts zu tun haben. Möglicherweise hat es sich nur zufällig an diesem Ort zugetragen.«
    Für Dupin war auch diese Antwort nur wenig verständlicher als die erste.
    »Konkret?«
    »Ich weiß es nicht. Das müssen schlimme Dinge sein. So viel Zerstörung.«
    Dupin hatte das Bedürfnis, das Gespräch ein wenig zu erden.
    »Und Leforts touristische Pläne?«
    Anjela Barrault lachte spöttisch. So boshaft spöttisch, wie Dupin es ihr nicht zugetraut hätte.
    »Oh ja. Seine großen Pläne. Sein großer Spielplatz.«
    »Kennen Sie die neuen Pläne?«
    »Bisher kennt sie niemand. Bis auf den amorphen Bürokraten aus Fouesnant. Ich glaube auch an keine neuen Pläne. Es sind doch immer dieselben.«
    »Der Bürgermeister?«
    »Der Bürgermeister.«
    »Und was denken Sie?«
    »Worüber genau?«
    »Wie sehen Sie die Idee eines Ausbaus der Segelschule, des Tauchzentrums – des Tourismus auf den Glénan?«
    »Das ist ein großer Witz. Und zugleich ein schrecklicher Witz. Mir wäre lieber, die Inseln würden vom Atlantik verschluckt. Was ohnehin sehr bald passieren wird, wenn der Meeresspiegel weiter steigt. Das bisschen Steine und Sand.«
    »Sie denken nicht, dass sich das auf eine ökologische Art und Weise bewerkstelligen ließe?«
    »Bullshit.«
    Anjela Barrault machte keine Anstalten, ausführlicher zu antworten. Sie drehte ihren Kopf und blickte Dupin entschieden, fast streng in die Augen. Im nächsten Moment schaute sie wieder aufmerksam nach vorn. Sie waren am Ziel angekommen. Penfret. Sie lagen direkt am »Walskelett«, dem riesigen, noch vollkommen intakten Holzgerippe eines alten, hier gestrandeten mächtigen Segelbootes, dessen Planken nach und nach verrottet waren, dessen solides hölzernes Grundgerüst aber noch hoch aus dem Sand emporragte. Dupin kannte es vom letzten Jahr.
    Während die Taucher ausstiegen, ließ er den Blick über die Insel schweifen. Man konnte die schlichten Unterkünfte sehen, weit verteilt, flache Holzbaracken. Jeweils vier standen in einem Viereck eng beieinander, insgesamt waren es vielleicht zwanzig. Sie zogen sich vom Strand bis zur Mitte der Insel, wo die Ruinen der alten Farmhäuser aus dem 19. Jahrhundert standen, die Henri ihm im letzten Jahr gezeigt hatte. Eigentlich waren es ganz gewöhnliche Häuser, hatte Dupin gefunden. Rechts von den Farmhäusern standen zwei höhere, zweistöckige Holzbaracken, hier waren provisorische Kantinen und Bars sowie Aufenthaltsräume untergebracht. Jugendherbergen waren im Vergleich luxuriös, Dupin war beeindruckt gewesen. Überragt wurde die Insel von dem berühmten weiß gestrichenen Leuchtturm mit dem leuchtend roten Glas, dessen 175. Geburtstag man im vergangenen Jahr mit einer feierlichen Wimpelbeschmückung gefeiert hatte. Er ragte aus dem Dach eines großen steinernen Hauses, das in vergangenen Zeiten die Leuchtturmwärter mit ihren Familien bewohnt hatten. Nolwenn hatte ihm ein paar der tragischen Geschichten erzählt, die sich um den Leuchtturm rankten. Dupin hatte nur eine behalten. Die ihm immer noch einen leisen Schauer versetzt. Eines Tages war in einem tosenden Sturm das rote Glas des Leuchtturms zersprungen, und man hatte, um Unfälle zu vermeiden, in aller Eile ein neues eingesetzt, jedoch nur weißes Glas zur Verfügung gehabt. In den folgenden Wochen waren nacheinander vier voll besetzte Schiffe auf dem Archipel gekentert. Man hatte das weiße Licht für den Leuchtturm von Penmarc’h gehalten und bei Nacht oder schlechtem Wetter vollkommen falsch navigiert. Hunderte Menschen hatten den Tod gefunden. Eine schreckliche Geschichte.
    Vom Heck waren Stimmen zu hören. Viele Male hörte er Anjela Barrault »Bis morgen« sagen. Es klang gleichbleibend herzlich.
    Dupin war schwindelig. Wahrscheinlich schon seit einer Weile, aber während der Fahrt war er abgelenkt gewesen. Für einen Moment sogar derart schwindelig, dass er fürchtete, den Halt zu verlieren. Zu taumeln, zu stürzen. Das Boot schaukelte zwar, aber Dupins Empfinden ging weit darüber hinaus. Das Meer selbst schien zu wanken. Ein großes, ausladendes Wanken. Reflexartig hatte er mit beiden Händen die Reling umgriffen und hielt sich mit aller Kraft fest. Er versuchte, einen festen Punkt auf der Insel zu fixieren.
    Was ihn abermals völlig unvorbereitet traf: der Knall, als Anjela Barrault die Tür in der Reling zuwarf, offensichtlich

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