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Bretonische Verhältnisse

Bretonische Verhältnisse

Titel: Bretonische Verhältnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Luc Bannalec
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Gegenteil. Der Bürgermeister redete immer noch, in der Stimme die typische Mischung aus Unterwürfigkeit und Befehlston. Dupin fiel ihm ins Wort:
    »Wir tun unser Bestes, Monsieur le Maire. Glauben Sie mir.«
    »Wissen Sie, dass nicht nur einige Gäste des Central , sondern auch schon einige Urlauber anderer Hotels abgereist sind? Wissen Sie, was das bedeutet? Und das in diesen Krisenzeiten. Dieses Jahr haben wir ohnehin weniger Gäste. Und nun das.«
    Dupin sagte kein Wort. Es entstand eine längere Pause.
    »Haben Sie denn schon eine Vermutung, Monsieur le Commissaire? Wenn ich das sagen darf: In einem so kleinen Städtchen kann doch so etwas nicht passieren, ohne dass es aussagekräftige Hinweise gibt.«
    »Monsieur le Maire, Vermutungen zu haben ist nicht meine Aufgabe.«
    »Aber was glauben Sie: Wer hat Pennec ermordet? Ein Auswärtiger oder jemand aus dem Ort? Es wird ganz sicher ein Auswärtiger gewesen sein. Darauf sollten Sie sich konzentrieren.«
    Dupin seufzte unverhohlen.
    »Meinen Sie, der Mörder ist noch in unserer Stadt? Könnte er weitermorden? Es würde eine unvorstellbare Panik geben.«
    »Monsieur le Maire. Gerade sehe ich, dass ein wichtiger Anruf auf dem zweiten Telefon eingeht. Sobald es relevante Entwicklungen gibt, melde ich mich. Versprochen.«
    »Verstehen Sie meine Position, ich …«
    Dupin legte auf.
    Er war sehr stolz auf sich. Er schaffte es erheblich besser als früher, seine Affekte zu zügeln. Er hatte keine Lust auf eine erneute Versetzung. Manchmal musste er seinen Mund halten, egal, wie schwer es ihm fiel. In Paris war es ihm einige Male sehr schwergefallen, und schließlich war es eine, so stand es in den Akten, »schwere Beleidigung« des Pariser Bürgermeisters – und pikanterweise dann späteren Staatspräsidenten – auf einer sehr großen öffentlichen Veranstaltung gewesen, die ihm den Garaus gemacht hatte. Und sicher waren die Beleidigungen oder wie es dann schriftlich hieß »fortgesetzten infamen Beschimpfungen« seines Vorgesetzten auch nicht gerade hilfreich gewesen.
    Er machte das ganz gut mittlerweile, fand er, so wie eben. Aber glücklich machte es ihn nicht. Er bedauerte es heftig, seine Rage in Situationen wie dieser im Zaum halten zu müssen. Und er fand es auch deswegen ein wenig traurig, weil ihm ohnehin ein paar der »Abgründe« fehlten, die mittlerweile für seinen Berufsstand ein Erfordernis, quasi ein Standard zu sein schienen: Drogensucht, zumindest Alkohol, Neurosen oder Depressionen bis hin zu klinischen Graden, eine stattliche eigene kriminelle Vergangenheit, Korruption interessanteren Ausmaßes oder mehrere dramatisch gescheiterte Ehen. Nichts davon hatte er vorzuweisen.
    Dupin war in der Zwischenzeit bei seinem Wagen angekommen. Er würde einigermaßen pünktlich bei Fragan Delon sein.
    Dupin hatte sich sehr viel versprochen von der Unterhaltung mit Fragan Delon. Aber, wenn er ehrlich war, hatte sie nichts wirklich Entscheidendes zutage gefördert.
    Francine Lajoux und Fragan Delon waren, so schien es Dupin, tatsächlich die Menschen, die Pennec am nächsten gestanden hatten. Wenn er jemandem Sorgen oder Ängste anvertraut hätte, dann am ehesten ihnen. Delon aber hatte nichts von seinem bedrohlichen Gesundheitszustand gewusst, also auch nichts darüber, ob sich Pennec jemand anderen anvertraut hatte. Er hatte auch nichts von irgendeinem Streit gewusst, einem Konflikt, den Pennec mit irgendjemandem gehabt hatte in den letzten Monaten oder Wochen, überhaupt je gehabt hatte. Außer mit seinem Halbbruder. Bei diesem Thema war Delon plötzlich sehr involviert gewesen, fast etwas gesprächig. Er hatte eine dezidierte Meinung zu dem Grund des Zerwürfnisses. Auch zu der Beziehung zwischen Madame Lajoux und Pennec. Er war sich sicher, dass es nie eine Liaison gegeben hatte. Nicht, dass Pennec dies ihm gegenüber formuliert hätte, Delon war sich einfach sicher. Und hatte dies – wie alles in diesem Gespräch – in sehr wenigen, kargen Worten ausgedrückt, sehr freundlich dabei. Das Verhältnis Pennecs zu seinem Sohn hielt Delon für nicht sehr eng. Aber davon habe ihm Pierre-Louis Pennec – wie eigentlich von allen privaten Themen – nie viel erzählt. »Wir haben über andere Dinge gesprochen, nicht über uns.« Und das war sicherlich nicht ungewöhnlich für zwei Bretonen, zumal dieser Generation. Auch wenn Delon kein Wort darüber gesagt hatte, ihm war eine tiefe Trauer anzumerken gewesen.
    Die letzten drei Tage vor seinem Tod, das hatte Dupin

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