Bretonische Verhältnisse
oberflächlich, da machte Dupin sich keine Illusionen. Denn eigentlich würde er, selbst wenn er eine Bretonin heiratete, bretonische Kinder hätte, und hier seinen Lebensabend beschließen sollte, für immer ein »Fremder« bleiben. Selbst nach zwei, drei Generationen würde man bei seinen Urenkeln sicher raunen: »Pariser«.
Das Licht, das sich jetzt am Abend wandelte, war magisch. Die Farben von Zauberkraft, alles strahlte intensiv, warm und sanft dabei. Golden. Es schien, als würde sich die Sonne in ihren letzten Stunden vor dem Untergehen entscheiden, auf geheimnisvolle Weise durch ihr Licht die Dinge einmal selbst leuchten zu lassen, so kam es Dupin immer vor. Die Dinge wurden nicht beleuchtet, sie leuchteten aus sich heraus. Dupin hatte nirgends auf der Welt je solch ein Licht gesehen wie in der Bretagne. Er war sich sicher, dass dies ein Hauptgrund für die Maler gewesen sein musste, hierhin zu kommen. Es war ihm selbst immer noch ein wenig peinlich, wenn er sich – er, der Großstädter par excellence – bei solchen naturromantischen Verzückungen wie gerade ertappte (und er musste zugeben, dass es ihm immer häufiger passierte).
Dupin ging auf das Central zu. Jemand hatte ein großes, mit der Hand beschriebenes Pappschild an den Eingang zum Restaurant gehängt: »Das Restaurant ist vorübergehend geschlossen. Das Hotel ist geöffnet.« Es wirkte sehr verzweifelt. Er bog in die kleine Gasse rechts vom Hotel ein und lief bis zur gusseisernen Tür, die zum Hof des Hotels führte. Er war sofort ganz allein, kein Mensch verirrte sich vom Hauptplatz hierhin, und der Lärm von dort war auch nicht mehr zu hören. Die Tür war vorschriftsmäßig abgesperrt und versiegelt, die Spurensicherung hatte ihre Arbeit getan. Es sah nicht so aus, als ob die Tür oft benutzt würde.
»Monsieur le Commissaire. Hier – hier bin ich.«
Dupin hob mürrisch seinen Kopf, Kadeg stand nur ein paar Schritte entfernt im Hof des Hotels.
»Ja. Gehen wir rein.«
Im Hotel war es gespenstisch leer, an der Rezeption stand eines der Zimmermädchen verloren herum. Dupin hatte nicht mal versucht, sich ihren unaussprechlichen bretonischen Namen zu merken. Sie wirkte vollkommen unbeteiligt, drehte eine Haarsträhne um einen Finger und hob nur kurz den Kopf, als die beiden an ihr vorbeigingen.
»Wo sind die Kollegen aus Pont Aven – ich meine, die Kollegen von hier? Und haben sie Dercap erreicht?«, wandte sich Dupin an Kadeg.
»Dercap haben sie leider noch nicht erreichen können, sie versuchen es über das Hotel, wo er zuerst war. Arzhvaelig ist eben gegangen. Er hatte seit gestern Mittag Dienst. Bonnec ist noch da, er führt noch Gespräche. Die beiden haben viel geschafft heute. Die Zusammenarbeit ist hervorragend.«
»Sehr gut. Sehr gut!«
Dupin formulierte das fast feierlich. Immerhin hatte Dercap ihnen gute Leute hiergelassen.
»Wir haben eine erste Übersicht über Pierre-Louis Pennecs letzte Tage. Und ein wenig darüber hinaus. Sollen wir damit beginnen?«
»Unbedingt.«
Die Tür zu dem jetzt am Abend irgendwie traurig wirkenden Zimmer, das sie sich als Quartier eingerichtet hatten, stand offen. Riwal saß an dem kleinen und einzigen Tisch, der im Raum stand. Er sah etwas angeschlagen aus. Kadeg ehrlich gesagt auch. Sie traten ein. Dupin setzte sich auf einen der Stühle, die eng nebeneinanderstanden.
Kadeg übernahm weiterhin das Reden.
»Vielleicht kommen wir doch zunächst …«
»Der Tagesablauf, Pierre-Louis Pennecs letzte vier Tage!«
»Ich wollte nur …«
Kadeg fasste sich und berichtete:
»Für gewöhnlich sahen seine Tage so aus: Pennec stand früh auf, jeden Morgen um sechs, seit einigen Jahren schlief er meistens hier im Hotel. Er kam um 6 Uhr 30 runter.«
Kadeg war jetzt voll und ganz in seinem Element. Dupin konnte Kadegs Stolz auf seine peniblen Fleißarbeiten nicht ertragen. Er sprach künstlich gedrängt, bei den banalsten Dingen lächerlich pathetisch. Aber Dupin hörte genau zu.
»Er frühstückte in dem kleinen Frühstücksraum, meistens alleine, manchmal mit Angestellten, mit Madame Lajoux, um Hotel- und Restaurantangelegenheiten zu besprechen. Er blieb sitzen, wenn die ersten Gäste kamen. Es gibt wohl eine große Anzahl von Stammgästen, die jedes Jahr kommen, seit Jahren, Jahrzehnten teilweise.«
»Haben Sie alle Namen?«
»Alle. Bis neun, halb zehn war Pierre-Louis Pennec hier und im Hotel, erledigte dies und jenes. Dann machte er einen Spaziergang. Damit hat er vor einigen Jahren erst
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