Bretonische Verhältnisse
begonnen.«
»Allein?«
»Ja, wohl immer allein.«
»Wohin?« Dupin interessierte sich gar nicht ausdrücklich für die Antwort, aber Kadegs unausstehliche allwissende Art provozierte ihn stets aufs Neue, ihn zu testen. Und fast immer zog Dupin den Kürzeren.
»Pierre-Louis Pennecs Spaziergang führte ihn die Hauptstraße hoch, dann rechts wieder runter zum Fluss und dann auf der rechten Seite des Ufers entlang. Am Ende des Ortes beginnt …«
Dupins Handy schrillte, auch Kadeg und Riwal schreckten kurz zusammen. Dupin nahm reflexhaft ab.
»Ja?«
»Ich bin’s.«
Dupin brauchte einen Augenblick, um die Stimme zu erkennen. Und stammelte dann trotzdem.
»Ja?«
»Véro. Ich könnte heute nach der Arbeit bei dir vorbeikommen. Oder Austern, wir gehen Austern essen. Ich …«
Das fehlte ihm noch.
»Ich bin in einem Fall. Ich – ich melde mich.«
Dupin legte auf. Riwal und Kadeg blickten ihn irritiert an.
Er musste sich wirklich überlegen, wie er das mit Véro löste. Es ging seit drei Monaten, und er wusste immer noch nicht, was er wollte. So konnte es jedenfalls nicht weitergehen.
»Ich fahre jetzt fort.«
Kadegs Tonfall klang betont verärgert.
»Also – Pennec ging dann noch ein Stück durch den Wald.
Immer denselben Weg, aber wohl unterschiedlich weit. Der ganze Spaziergang dauerte zwischen einer und zwei Stunden, je nachdem. In den letzten Monaten ist er wohl nicht mehr sehr weit gegangen. Im Anschluss hielt Pennec sich wieder im Hotel auf. Die Vorbereitungen für das Mittagessen wurden getroffen. Pennec verabredete sich nicht selten zum Mittagessen. Er hielt sich immer hier unten auf, wie abends beim Essen. Sah nach dem Rechten. Seit vielen Jahren ging er dann so um halb drei auf sein Zimmer und ruhte sich aus. Anschließend machte er Erledigungen, Einkäufe. So um 16 Uhr, 16 Uhr 30. Ab sechs war er dann wieder im Hotel. Vorbereitungen für den Abend, das Abendessen, Gespräche mit den Angestellten, dem Koch, den Gästen. Ein frühes Abendessen vor dem Ansturm der Gäste zusammen mit den Angestellten. Im Frühstücksraum. So um halb sieben. Sie aßen immer das Gericht des Tages, das war Pennec sehr wichtig – immer ein gutes Essen für alle. Pennec war während des Abendessens hier und dort, schaute nach allem, begrüßte, verabschiedete, ging ab und zu von Tisch zu Tisch, und er war viel in der Küche. Manchmal an der Bar.«
Das erste Mal schaltete sich Riwal ein.
»Die halbe Stunde bevor das Restaurant um halb acht öffnete, stand Pennec immer an der Bar. Da kamen Bekannte oder Freunde. Besondere Gäste. Pennec selbst ging selten weg. Er traf die Leute hier. Nie sehr lange. Um diese Zeit war er selten allein, sagen alle Angestellten. Auch die letzten Tage nicht. Wir haben alle Namen derer, die er in den letzten Tagen gesehen hat.«
Dupin machte sich ein paar kryptische Notizen; ihn interessierten die Rituale, die Menschen sich schufen. In ihrem Tagesablauf, ihrer Zeit. In nichts, so war er fest überzeugt, zeigte sich das Wesen der einzelnen Menschen klarer, hier begann man sie zu verstehen.
Kadeg fuhr in seinem strengen Ton der Systematik fort:
»Dann am Ende des Tages der Lambig an der Bar, allein häufig. Ein, zwei Mal die Woche mit Fragan Delon. Oder eben mit einer anderen sehr vertrauten Person. Es war wohl eine große Auszeichnung, von Pennec dazu eingeladen zu werden.«
»Und die letzten Tage? Seit Montag?«
»Also«, übernahm Riwal, »das ist nicht leicht. Was wir haben, von Montag bis heute, ist noch vorläufig. Montagmorgen war Pennec zwei Stunden weg, nach dem Frühstück. Wir wissen noch nicht, wo er war. Hier im Hotel hat er keinem was gesagt. Aber das ist nicht ungewöhnlich. Wenn er das Hotel verließ, sagte er selten, wohin er ging. Ein Handy besaß er nicht. Montagnachmittag war er beim Frisör, um 16 Uhr. Der Salon unten am Hafen, da ging er seit Jahrzehnten hin, ungefähr eine Stunde. Er hatte am Donnerstag der vergangenen Woche angerufen und den Termin vereinbart.«
Pennec war tatsächlich ein sehr eigentümlicher Charakter. Dupin hätte verstanden, wenn jemand nach einer solchen Mitteilung wie der von Doktor Garreg den Frisörtermin abgesagt hätte.
»Wir werden noch mit dem Frisör sprechen.«
»Das sollten Sie unbedingt. Ihren Frisören erzählen Menschen viel. Selbst die verschwiegensten.«
Dupin rechnete indes im Falle Pennecs nicht damit. Nach allem, was er über Pennec erfahren hatte und wie er den Charakter nun einschätzte. Dennoch.
»Montagabend vor
Weitere Kostenlose Bücher