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Bretonische Verhältnisse

Bretonische Verhältnisse

Titel: Bretonische Verhältnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Luc Bannalec
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war die Stimmung, in die sie einen versetzte. Und diese Stimmung – das war das Meer selbst.
    Dupin wusste, dass die Menschen hier das Meer auch anders kannten, so anders, dass man es sich an einem Abend wie dem heutigen überhaupt nicht vorstellen konnte: als Ungetüm, das grausam zerstörte und einem alles nahm. Die mächtige Hafen- und Festungsanlage wehrte die Feinde ab – vor allem aber das wütende Meer. Und doch waren sie zu sehr verwoben, die Stadt und der Atlantik, als dass irgendetwas helfen würde, wenn er in Rage geriet. »In Concarneau«, hieß eine der vielen Sentenzen, mit denen die Menschen ihr raues Leben zumindest in Worten gebändigt hatten, »in Concarneau siegt das Meer.« Das war Dupin schnell klar geworden: Was die Menschen vom Meer von allen anderen unterschied, von denen, die am Meer, wie er, Tourist waren und blieben, war der Respekt, genauer: die Angst. Die Angst, nicht die Liebe, war ihr stärkster Bezug zum Meer. Jeder hier kannte jemanden, der einen Menschen an das Meer verloren hatte, einen oder mehrere, die das Meer genommen hatte.
    Heute Abend aber, hier unten am Hafen, war das Meer freundlich. Das Wasser, das die Insel der Altstadt umspülte, war vollkommen glatt.
    Dupin parkte seinen Wagen in der ersten Reihe, ganz nahe am Hafen.
    Girard grüßte mit einer aufmunternden Geste, als sich Dupin an einem der kleinen Tische in der Ecke der Bar niederließ. Eine Geste, die erkennen ließ, dass er wusste, welch harten Tag der Kommissar hinter sich haben musste. Ohne Hektik kam er zum Tisch.
    »Schwierig alles?«
    »Ja.«
    »Hm. Entrecôte?«
    »Ja.«
    Das war die ganze Konversation. Abgesehen davon, dass sie ausreichte und im Umfang ganz typisch war für die Konversation zwischen Dupin und Girard, war es auch alles, was Dupin an Unterhaltung noch schaffte. Es war kurz vor elf jetzt. Ihm war schlecht vor Hunger. Zwar liebte er die bretonische Küche sehr, und im Amiral waren alle ihre köstlichsten Spezialitäten zu haben, aber nichts, nichts ging für Dupin über Entrecôte mit Pommes frites (das wirkliche große Nationalgericht der Grande Nation – sie konnte, fand Dupin ganz aufrichtig, darauf stolz sein). Nichts war so gut. Und nichts half so gut. Nach einem solchen Tag. Dazu Rotwein, tiefroter Languedoc. Schwer, samtig und weich.
    Dupin musste nicht lange warten, und alles stand vor ihm. Dann aß er. Und dachte nicht mehr viel nach.

[Menü]
DER ZWEITE TAG
    Es war 6 Uhr 30. Kommissar Dupin hatte wirr und unruhig geträumt. Er war zwar um halb eins im Bett gewesen, aber erst um drei eingeschlafen. So richtig tief hatte er erst seit Kurzem geschlafen. Das Telefon hatte einen entsetzlichen Ton. Und war ohrenbetäubend laut. Es war ein neues Gerät, und Dupin war mehrere Male hoffnungslos bei dem Versuch gescheitert, den Ton und die Lautstärke in den vielfältigen Menüs und Untermenüs zu verändern. Er sah Kadegs Nummer. Und nahm den Anruf eigentlich nur ab, um das infernalische Klingeln zu beenden.
    »Jemand hat die Versiegelungen an einem der Fenster in der kleinen Seitengasse entfernt und die Fensterscheiben eingeschlagen. Das Fenster steht offen.«
    Kadeg hatte nicht einmal gefragt, ob er richtig verbunden war.
    »Was? Kadeg! Was ist los?«
    Dupin verstand nicht, worüber Kadeg sprach.
    »Jemand ist heute Nacht in den Tatort eingedrungen.«
    »Ins Central ?«
    »In die Bar, in der Pierre-Louis Pennec ermordet worden ist.«
    »Und hat was gemacht?«
    »Keine Ahnung.«
    »Keine Ahnung?«
    »Die Kollegen aus Pont Aven haben gerade angerufen. Sie haben es nur gemeldet.«
    »Jemand ist gewaltsam durch ein Fenster in den Tatort eingedrungen?«
    Kadeg zögerte mit der Antwort:
    »Streng genommen wissen wir das gar nicht. Nur dass jemand ein Fenster eingeschlagen hat und dass es offen steht. Das, das dem gusseisernen Tor am nächsten ist, also weiter hinten, Richtung Bar, wenn ich es richtig verstanden habe.«
    »Ist etwas zu sehen im Restaurant oder in der Bar?«
    »Soweit ich weiß nichts. Keine Verwüstungen, keine Zerstörungen. Aber das ist sicherlich eine vorläufige Aussage.«
    »Was soll das heißen?« Dupin kam langsam zu sich.
    »Die Kollegen haben nichts Auffälliges gesehen. Aber sie haben natürlich noch keine spurendienstlichen Untersuchungen vorgenommen. Sie haben Reglas benachrichtigt. Das ist sicher das Wichtigste im Moment.«
    »Wie ist das aufgefallen? Das Restaurant ist abgesperrt.«
    »Der Koch.«
    »Edouard Glavinec?«
    »Ja, Monsieur le Commissaire.«
    »Ist jemand

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