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Bretonische Verhältnisse

Bretonische Verhältnisse

Titel: Bretonische Verhältnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Luc Bannalec
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so etwas wirklich nicht sagen«, sie zögerte, »sie ist gewiss keine Mörderin, auch wenn sie kein guter Mensch ist.«
    »Sie können ganz offen mit mir reden.«
    Sie seufzte noch einmal tief.
    »Warum hat der Mörder Monsieur Pennec hier umgebracht? Meinen Sie, er kannte ihn und wusste, dass er hier jeden Abend war? Hat er ihn an diesem Abend beobachtet und gesehen, dass er alleine war?«
    Madame Lajoux wirkte wieder gänzlich ermattet und ein wenig zittrig.
    »Wir wissen es noch nicht. Madame Lajoux, Sie gehen jetzt am besten nach Hause. Es ist schon spät. Sie müssen sich schonen. Sie sollten sich ein paar Tage freinehmen, das wäre das Richtige.«
    »Das würde ich nie tun, Monsieur le Commissaire. Gerade jetzt braucht mich Pierre-Louis Pennec.«
    Dupin wollte widersprechen, dachte kurz nach und sagte dann:
    »Ich verstehe. Aber wenigstens heute Abend sollten Sie sich etwas ausruhen.«
    »Sie haben recht. Ich bin erschöpft.«
    Sie wandte sich zum Gehen.
    »Nur noch eine letzte Frage, Madame Lajoux. Es gab da einen Mann, mit dem Pierre-Louis Pennec eine Unterhaltung hatte, draußen vor dem Hotel. Am …«, Dupin blätterte in seinem Heft, fand die Stelle aber nicht, »in den letzten Tagen. Sind Sie sich sicher, dass es kein Gast war. Oder jemand aus dem Ort?«
    »Nein, nein. Das war kein Gast. Ich kenne unsere Gäste. Und sicher niemand aus dem Ort.«
    »Sie haben ihn nie zuvor gesehen?«
    »Nein.«
    »Wie sah er aus?«
    »Der eine Inspektor hat sich das alles schon aufgeschrieben. Er war nicht sehr groß, eher dünn. Ich habe die beiden aber auch nur aus dem Augenwinkel gesehen. Von oben, vom Treppenhaus. Ich weiß nicht, wie lange sie gesprochen haben, aber sie schienen heftig zu diskutieren.«
    »Inwiefern heftig?«
    »Ich kann es nicht genau sagen, es kam mir so vor.«
    »Es wäre sehr wichtig.«
    »Sie gestikulierten. Ich – es war nur mein Gefühl. Hilft Ihnen das?«
    Dupin kratzte sich an der rechten Schläfe.
    »Vielen Dank. Das – hilft uns. Haben Sie eine gute Nacht, Madame Lajoux.«
    »Ich hoffe, Sie fassen den Mörder bald. Aber Sie müssen sich auch ein wenig ausruhen, Monsieur le Commissaire. Und genug essen.«
    »Vielen Dank, Madame Lajoux. Das werde ich. Bonne nuit.«
    Sie verschwand in der Tür.
    Dupin war wieder allein. Er war sich einigermaßen sicher, dass Francine Lajoux nichts von Pennecs gesundheitlichem Zustand gewusst hatte. Pennec hatte sich ihr nicht anvertraut.
    Durch die Fenster, deren Verschläge heute früh bei der Sicherung des Tatortes geschlossen und von außen zusätzlich versiegelt worden waren, hörte man kurz dumpfes Stimmengewirr. Dann war es wieder ganz still.
    Dupin hatte während des Gespräches gemerkt, wie müde er war. Abgesehen von seinem Hunger. Er hatte keine genaue Vorstellung davon, wonach er hier an der Bar suchen sollte. Er hatte sich nichts Konkretes versprochen. Schon als junger Polizist hatte er sich angewöhnt, die Tatorte wiederholt anzuschauen. Er versuchte sich, jeweils mit dem neuen Wissen über den Fall – oder zuweilen auch mit nichts als der Fantasie –, den Hergang der Tat so genau wie möglich vorzustellen. Er saß dann da und verlor sich in Details. So sah er plötzlich entscheidende Dinge. Manchmal. Heute aber, da war er sich sicher, würde er gar nichts mehr sehen. Er beschloss, den Tag zu beenden und noch etwas zu essen im Amiral . Fast zehn war es jetzt. Er war zu nichts mehr zu gebrauchen. Er war nicht zufrieden.
    Dupin saß in seinem Wagen, hatte beide vorderen Seitenfenster heruntergefahren, atmete die sanfte Luft des Abends und war froh, Pont Aven hinter sich zu lassen. Gleich würde er wieder zurück in seinem Concarneau sein. Hätte ihm das jemand vor drei Jahren gesagt, dass er in nicht allzu ferner Zeit »mein Concarneau« sagen würde, er hätte jeden ausgelacht. Aber so war es gekommen – er liebte diese kleine Stadt. Er kannte wenige Orte auf dieser Welt, an denen man so frei atmen konnte wie hier, sich, wie pathetisch es auch immer klingen mochte, so frei fühlen konnte. An Tagen wie diesem war der Horizont schier endlos, endlos wie der Himmel, alles in sanfter Klarheit. Wenn man von den Hügeln die lang gezogene Avenue de la Gare hinunterfuhr, die an beiden Seiten malerische, fein herausgeputzte Fischerhäuser säumten, schaute man direkt auf den Hafen, auf die großen, offenen Plätze, die weiten, unbebauten Flächen zwischen dem Meer und den Menschen. Concarneau war schön, wunderschön, aber das Schönste an dieser Stadt

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