Bretonische Verhältnisse
schien all ihre Kräfte aufzubieten.
»Wollen wir lieber hinausgehen?«
»Nein, nein. Ja, wir waren uns sehr nahe, wissen Sie, Monsieur le Commissaire, aber …«, sie schaute Dupin unsicher an, »aber auch nie zu nahe, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Unbedingt, ich weiß, was Sie meinen. Ich habe das nicht andeuten wollen.«
»Immer haben alle geredet. Und jetzt schauen mich alle so an seit heute Morgen. Ein gemeines Gerede. Er hat seine Frau geliebt. Wissen Sie, Monsieur le Commissaire, es geht mir gar nicht um mich, es geht mir um ihn. Seinen Ruf.«
»Sie sollten nichts darauf geben, Madame Lajoux. Gar nichts.«
Madame Lajoux hielt die Augen gesenkt.
»Wissen Sie schon mehr, Monsieur le Commissaire?«
»Wir wissen schon einiges, aber nicht genug.«
»Kann ich noch helfen? Ich würde gerne helfen, man muss den Mörder fassen und bestrafen. Wer ist zu so einer Tat imstande?«
»Das weiß man nie.«
»Meinen Sie? Wirklich? Das ist ein schrecklicher Gedanke.«
»Haben Sie André Pennec schon gesehen?«
Der Wechsel des Themas war abrupt, aber Madame Lajoux antwortete umgehend und mit ganz klarer Stimme.
»O ja. Er hatte die Unverfrorenheit, sich hier im Hotel ein Zimmer zu nehmen. Madame Mendu hat ihm eines gegeben. Mit einer großen protzigen Limousine ist er gekommen, direkt vom Flugplatz. Ein unmöglicher Mensch. Eine Dreistigkeit, dass er hier logiert. So etwas Heuchlerisches. Das wäre Monsieur Pennec nicht recht gewesen. Er hat das Hotel gleich wieder verlassen, nachdem er seine Sachen ins Zimmer gebracht hat. Und ist mit seinem großen Wagen weg.«
»Wissen Sie, wohin er gefahren ist?«
»Er hat niemandem etwas gesagt.«
Dupin holte sein Heft hervor und machte sich eine Notiz.
»Madame Lajoux, um eine Sache würde ich Sie in der Tat bitten wollen: noch einmal sehr, sehr genau über die letzten vier Tage von Pierre-Louis Pennec nachzudenken. Wir müssen wissen, was er in diesen letzten vier Tagen getan hat. Damit würden Sie uns sehr helfen.«
»Monsieur Riwal hat mich schon danach gefragt. Ich habe ihm alles gesagt, was ich weiß, Monsieur le Commissaire.«
Sie zögerte einen Augenblick.
»Stimmt es, Monsieur le Commissaire, dass der Mörder immer zum Tatort zurückkehrt, zumindest einmal noch?«
»Das ist kompliziert. Bei Mordfällen gibt es keine Regeln. Für gar nichts. Glauben Sie mir.«
»Ich verstehe. Ich habe das einmal gelesen. In einem Buch. Ein Kommissar hat das gesagt.«
»Madame Lajoux, Sie sollten die Dinge nicht allzu ernst nehmen, die Sie in Kriminalromanen lesen. – Ich habe noch eine Frage, kennen Sie den Kunstlehrer und Leiter des kleinen Museums?«
Dupin hatte Mut gefasst, doch ein paar Dinge fragen zu können. Francine Lajoux schien im Laufe des Gesprächs an Kraft gewonnen zu haben, das Reden half ihr offensichtlich.
»Selbstverständlich. Gut kenne ich ihn. Ein ganz wunderbarer Mensch. Pont Aven hat Monsieur Beauvois viel zu verdanken. Monsieur Pennec schätzte ihn sehr. Diese neue Broschüre war ihm sehr wichtig.«
»Wie weit ist sie?«
»Ich weiß es nicht genau, es gab einen ersten Entwurf, glaube ich. Mit einem Foto des Restaurants, zweien sogar, einem von damals, einem von heute. Dies hier war Pierre-Louis Pennec der liebste Raum des Hotels. Anfang des letzten Jahres haben wir alles neu gemacht im Erdgeschoss, die Wände, den Boden. Wir haben auch eine ganz neue Klimaanlage bekommen. Er hat nie gespart hier im Hotel.«
Dupin bemerkte erst jetzt, dass die Luft im Restaurant kein bisschen stickig geworden war, obgleich es doch so warm gewesen war heute und der Raum abgesperrt. Die Klimaanlage arbeitete sehr gut.
Seufzend fuhr sie fort: »Hier war Monsieur Pennec immer froh. Jeden Abend war er hier. Bis zum Schluss.«
»Worüber haben Sie gesprochen, in dieser Woche, bei Ihren Abendessen? Hat er etwas über seinen Halbbruder gesagt? Diese Woche oder in letzter Zeit?«
»Nein, gar nichts.«
»Hat er Ihnen gegenüber zuweilen von seinem Sohn gesprochen?«
»Nein. Er hat fast nie von ihm gesprochen. Nur über dessen Frau manchmal. Catherine Pennec. Manchmal hat er sich über sie aufgeregt, er mochte sie nicht, glaube ich. Aber ich sollte das nicht sagen.«
Es war Madame Lajoux anzumerken, dass sie sich zurückhielt.
»Worüber hat er sich aufgeregt?« Dupin musste blinzeln.
»Ich weiß es nicht genau. Sie wollte neue Möbel für ihr Haus. So etwas. Er fand immer, sie lebe über ihre Verhältnisse und wolle die große Dame spielen. Aber ich sollte
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