Bretonische Verhältnisse
Pause.
»Was meinen Sie?«
»Ich weiß es auch nicht. Ich meine, ich weiß es selbst nicht.«
»Also dann.«
Dupin legte auf.
Die Notarin besaß ein wunderschönes altes Steinhaus – geschmackvoll restauriert – weiter oben am Fluss, der hier in einem gewundenen Flussbett wildromantisch über gewaltige Granitblöcke floss. Im Erdgeschoss und im ersten Stock hatte sie ihr Büro, im zweiten Stock wohnte sie. Im kleinen, prächtig bepflanzten Vorgarten stand ein halbes Dutzend Palmen – stets eine Attraktion für Touristen; und immer hörte man jemanden sich damit brüsten, was alle sowieso wussten: »Der Golfstrom trifft genau auf die Bretagne und sorgt auch im Winter für mildes Klima, in der Bretagne gibt es deswegen nie Frost, selten wird es unter zehn Grad – ideal für Palmen.«
Madame de Denis öffnete selbst die Tür. Sie war stilvoll gekleidet. Beiges Etuikleid mit passenden hohen Sandalen. Sah teuer aus. Sehr understatement.
»Bonjour Monsieur le Commissaire.«
Sie lächelte Dupin an, nicht übertrieben, aber doch sehr direkt.
»Bonjour Madame Maître.«
»Kommen Sie herein. Wir gehen hoch in mein Arbeitszimmer.«
Sie machte eine Geste Richtung Treppe, die direkt neben der Eingangstüre nach oben führte.
»Gern.«
Dupin ging voraus.
»Geht es Ihnen gut?«
»Ja. Danke. Wunderbar.«
»Ich danke Ihnen, dass Sie so kurzfristig Zeit für mich haben. Sie kannten Monsieur Pennec sicherlich ganz gut.«
»Seit Langem. Seit meiner Kindheit.«
Sie hatte sich hinter ihren eleganten alten Schreibtisch gesetzt, Dupin auf einen der beiden nicht minder eleganten Stühle davor.
»Monsieur Pierre-Louis Pennec hat mich am Dienstagmorgen angerufen, in einer privaten Angelegenheit, sagte er. Nichts, was das Hotel betraf. Es sei eilig. Zunächst wollte er einen Termin am Donnerstag um 18 Uhr. Den habe ich ihm zugesagt. Dann rief er nach einer Stunde noch einmal an und wollte den Termin auf Freitagmorgen verlegen. Er habe vor, eine Änderung am Testament vorzunehmen, hat er gesagt. Ich dachte, das sollte ich Ihnen mitteilen noch bevor wir zum Inhalt des Testaments kommen.«
Dupin war bei ihren Worten zusammengezuckt. Er war augenblicklich hellwach.
»Eine Änderung am Testament?«
»Er hat mir am Telefon nicht gesagt, worum es genau ging. Ich habe ihn gefragt, ob ich schon etwas vorbereiten könne. Aber er wollte persönlich mit mir darüber reden.«
»Haben Sie eine Ahnung, was es gewesen sein könnte? Was er ändern wollte?«
»Nicht die geringste.«
»Gibt es etwas Besonderes in dem Testament? Ich meine, etwas Überraschendes? Ich nehme an, dass Loic Pennec alles erben wird.«
»Sein Sohn erbt das Hotel, was mit einigen Auflagen, wie es zu führen ist, verbunden ist – und das Haus, in dem er mit seiner Frau lebt. Ein zweites Haus der vier Immobilien aus der Erbschaft, das, in dem er selbst lebte, hat Pierre-Louis Pennec dem Kunstverein Pont Avens vermacht. Die dritte Immobilie erbt Fragan Delon und die vierte Francine Lajoux. Für sie hat Pierre-Louis Pennec zudem einen Brief hinterlegt, den sie nun erhält. Monsieur Delon erbt die beiden Boote Pennecs.«
Dupin beugte sich vornüber, er konnte sein Erstaunen nicht verbergen. Dem Gesichtsausdruck und der Stimme Madame de Denis’ waren keinerlei Regungen anzumerken. Sie referierte sachgemäß die Festlegungen des Testaments.
»Es handelt sich bei den zuletzt erwähnten Immobilien um die Häuser, die Madame Lajoux und Monsieur Delon bereits seit längerer Zeit bewohnen. Bargeld und alles andere geht an den Sohn, aber dabei geht es nicht um große Werte. Rund zweihunderttausend Euro betrug das Barvermögen nach meinen letzten Kenntnissen. Auch dies mit Bestimmungen verbunden. Mindestens hunderttausend Euro müssen immer für eventuelle Reparaturen und Renovierungen des Hotels auf dem Konto verbleiben. Und ein paar Grundstücke gehören zum Erbe, die an seinen Sohn gehen. Sieben Stück, ziemlich wild in der Gegend verstreut; alles kleinere Parzellen, nur zwei etwas größere, um die tausend Quadratmeter, auf denen jeweils auch eine Art Schuppen stehen muss. Eins in Port Manech, eins in Le Pouldu. Alles keine Baugrundstücke, ohne Wert eigentlich. Wenn man eine Baugenehmigung bekäme, sähe das natürlich ganz anders aus. Aber die strengen Küstenschutz-Gesetze verbieten das. Die meisten der Grundstücke hat Monsieur Pennec selbst schon geerbt. – Das ist der Kern des Testaments.«
Dupin hatte alles minutiös mitgeschrieben.
»Delon und Lajoux
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