Bretonische Verhältnisse
hat, will sein Testament ändern und – wird zwei Tage später ermordet.«
Sie brach ab.
»Ich weiß.«
In dieser Zuspitzung, das stimmte, klang ein Zufall unwahrscheinlich. Aber es ließ sich auch alles anders formulieren.
»Sie erwähnten eben einige Auflagen. In Hinblick auf die Erbschaft des Hotels.«
»Ja, es sind nicht viele. Dass Madame Lajoux ihre Stellung bis zu ihrem Lebensende behält, auch ihr Gehalt. Dass Madame Mendu ihre Nachfolgerin als Hausdame sein soll. Eine Art Managerin des Hotelbetriebs. Als Allererstes, dass das Hotel nicht verkauft oder wesentlich in seiner aktuellen Gestalt verändert werden darf. In diesen Formulierungen liegt selbstverständlich eine gewisse Vagheit. In all das muss Loic Pennec verbindlich einwilligen, damit er die Erbschaft antreten kann.«
Dupin überlegte.
»Ich hatte damals das Gefühl, als würde Pierre-Louis Pennec dieser Liste eigentlich gerne noch ein paar Punkte hinzufügen. Er hatte es ein paar Male angedeutet.«
»Könnte das der Grund gewesen sein, das Testament nun abändern oder ergänzen zu wollen?«
»Ich kann es Ihnen nicht sagen.«
»Hat Pierre-Louis Pennec von einer Abänderung oder Ergänzung gesprochen?«
»Von einer Abänderung.«
Dupin notierte sich das Wort und unterstrich es zwei Mal.
»Was könnte das Testament in dieser Form an Motiven für einen Mordfall enthalten? So spektakulär ist es nicht – es ist, sagen wir: überraschend in einigen Punkten.«
Es war keine richtige Frage gewesen, Madame de Denis hatte Dupin nicht angeschaut, sondern unbestimmt durch das Fenster geblickt. Dupin war ihrem Blick gefolgt.
»Ein unglaubliches Blau.«
Wieder entstand eine längere Pause. Schließlich machte Madame de Denis eine Bewegung, als würde sie sich schütteln wollen.
»Ich mag keine Spekulationen. Mein Beruf sind die Fakten und die Sicherung der Fakten. Aktenkundiges.«
Dupin verstand nicht genau, was sie meinte. Er war jetzt selbst in Gedanken und ganz unruhig geworden. Ungeduldig.
»Wissen Sie, das hat mir alles sehr geholfen. Das waren wichtige Auskünfte. Haben Sie ganz herzlichen Dank, Madame Maître. Das war sehr freundlich.«
»Sehr gerne, Monsieur le Commissaire. Sehr gerne. Ich hoffe, dass sich das Dunkel bald lichtet. Das ist ein entsetzliches Verbrechen. Nicht auszudenken, dass Monsieur Pennec in seinem Alter so gewaltsam sterben musste.«
»Ja.«
»Ich bringe Sie hinunter.«
»Nein, nein, Madame, machen Sie sich keine Mühe. Ich kenne den Weg.«
Dupin schüttelte Madame de Denis die Hand.
»Alles Gute, Monsieur le Commissaire.«
»Ja, alles Gute. Ich hoffe, wir sehen uns bald einmal wieder – unter angenehmeren Bedingungen.
Madame de Denis lächelte.
»Das hoffe ich auch.«
Kommissar Dupin wusste, dass seine Verabschiedung von Madame de Denis abrupt gewesen war. Er wollte ein paar Meter gehen. Die Dinge wurden immer verwirrender. Eigentlich wusste er, dass dies für gewöhnlich ein gutes Zeichen war. In dieser Phase. Aber dieses Mal fühlte es sich nicht gut an.
Er ging bis zum Hotel zurück, bog rechts in die kleine Gasse ab und entschied sich dann, einfach dem Straßenverlauf zu folgen, ganz den Hügel hoch. Da es hier nicht direkt zum Fluss hinunterging, war die Gegend touristisch uninteressant, er würde seine Ruhe haben.
Das Testament war kein Eklat, nein, aber doch eine erhebliche Überraschung. Und auch hier, wie bei der Herzerkrankung: Es war vollkommen unklar, ob überhaupt jemand von den Verfügungen Pennecs gewusst hatte. Hatte er den Bedachten je etwas gesagt? Sein Sohn und dessen Frau hatten bestritten, Genaueres über das Testament zu wissen, das Ganze spürbar für eine reine Formalie gehalten. Das Erbe sahen sie ganz bei sich. Aber das hieß natürlich nichts. Auch Fragan Delon und Francine Lajoux hatten sich nichts anmerken lassen. Der entscheidende Punkt aber war nicht mal das bestehende Testament: Pennec hatte, nachdem er erfahren hatte, sehr bald sterben zu müssen, das dringende Ansinnen gehabt, sein Testament noch einmal zu ändern. In welchem Punkt? In einem, in mehreren? Hatte er etwas Neues hinzufügen wollen? Diese Auskunft wäre vielleicht der Schlüssel zu allem. Und auch hier wieder die Frage: Hatte jemand von dieser Absicht gewusst? Es musste augenscheinlich um diese beabsichtigte Änderung gehen – alles andere, das bestehende Testament mit seinen Verfügungen schien als Motiv für einen Mord nicht hinzureichen. Die Sache müsste dramatischer sein. Oder sie war dramatisch und
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